Verkehrsverbund VBB und Semesterticket: Ticketlos durch Berlin

Der Verkehrsverbund VBB hat den Studierenden kein akzeptables Ticketangebot vorgelegt. Zwei Hochschulen verzichten nun auf die Fahrkarte

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Verhandlungen um ein Semesterticket für das Wintersemester 2023/2024 sind gescheitert. Für die Studierenden einiger Berliner Universitäten und Hochschulen wird es ab Oktober vorerst kein entsprechendes Nahverkehrsticket geben. Das bisherige Angebot des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) eines Tickets für 32,30 Euro im Monat ist für die Studierendenvertreter*innen nicht mehr akzeptabel und ein günstigeres Angebot legte der VBB nicht vor.

Seit der Einführung des 49-Euro-Tickets sei der Preis nicht mehr verhältnismäßig. »Früher lag der normale Ticketpreis bei etwa 80 Euro. Im Vergleich dazu waren 33 Euro deutlich günstiger. Aber im Vergleich zu 49 Euro ist das nicht mehr preisgünstig«, sagt Stefanie Döring zu »nd«. Die BWL-Studentin ist Referentin für Hochschulpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW).

Hinzu komme, dass das Semesterticket als eine Art »Zwangsticket« nicht kündbar ist, sondern gemeinsam mit den Semestergebühren bezahlt werden muss. Das heißt, auch Studierende, die wohngeldberechtigt sind und theoretisch Anspruch auf ein 9-Euro-Sozialticket haben, müssten stattdessen 32,30 Euro für das Semesterticket zahlen. Laut einem von der Technischen Universität Dortmund beauftragten Rechtsgutachten, das die ähnliche Situation in Nordrhein-Westfalen untersucht hat, »darf die Höhe der Beiträge nicht im Missverhältnis zu dem Vorteil stehen, den sie abgelten sollen«. Das heißt: Ein Semesterticket, das fast genauso viel kostet wie das 34-Euro-Jobticket für Berufstätige, aber einen viel geringeren Geltungsbereich hat, wäre juristisch nicht vertretbar.

Eigentlich müssen Preisanstiege durch eine Urabstimmung aller Studierenden einer Uni legitimiert werden – aber eine solche Urabstimmung durchzuführen, ist gar nicht so einfach, sagt Miguel Góngora zu »nd«. Er ist AStA-Sprecher der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und studiert Recht für die öffentliche Verwaltung. Die Abstimmung müsste acht Wochen vorher angekündigt werden, es bräuchte Wahlzettel, das Ganze koste einen AStA mindestens 5000 Euro.

Die in der Hochschulpolitik geltenden Fristen hätten es eigentlich erforderlich gemacht, solche Dinge mindestens ein Jahr früher zu regeln. In der kommenden Woche beginnen an einigen Hochschulen bereits die Rückmeldefristen für das Wintersemester, also der Zeitraum, in dem die Semestergebühren und damit auch Ticketbeiträge bezahlt werden müssen. »Aber die Senatsverkehrsverwaltung hat erst zu spät und dann gar nicht mehr mit uns geredet«, sagt Góngora. Im März habe die vorherige grüne Mobilitätsverwaltung den Studierenden mitgeteilt, dass sie keine Lösung mehr erarbeiten werde, um die Entscheidung der neuen Regierung nicht vorwegzunehmen. Auf eine Nachfrage von »nd« dazu ging die Verkehrsverwaltung nicht ein.

Stefanie Döring hat den zuständigen Verwaltungsmitarbeiter als »paternalistisch« in Erinnerung. »Er hat uns sehr von oben herab vorgerechnet, was wir schon alles bekommen würden und gesagt, dass wir doch einfach unterschreiben sollen«, erzählt sie. Ein neues Angebot werde es nicht geben, hieß es. Die Studierenden hätten schon in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Dringlichkeit frühzeitiger Verhandlungen hingewiesen, seien aber stets auf taube Ohren gestoßen, berichten Vertreter*innen von drei verschiedenen Asten übereinstimmend – »ein Scheitern mit Ansage«, so Dörings Fazit.

In den vergangenen vier Jahren hatte das Land Berlin steigende Ticketpreise immerhin durch Zuschüsse ausgeglichen, durch die der Preis, den die Studierenden zahlen mussten, stabil blieb. Deshalb waren in den vergangenen Semestern keine Urabstimmungen erforderlich. Für das laufende Sommersemester waren das 75 Euro für jede*n Student*in, also 12,50 Euro pro Monat. Laut Senatsverkehrsverwaltung betrug der Zuschuss 2023 insgesamt 22 Millionen Euro. Für das anstehende Wintersemester wurde aber kein Zuschuss gewährleistet.

Dass die einzelnen Studierenden nun also, ohne darüber abgestimmt zu haben, die vollen 32,50 Euro im Monat selbst tragen sollen, »ist von der Legitimation her ein Problem. Für uns ist das ein zu heißes Eisen«, sagt Stefanie Döring. Theoretisch könnten in diesem Fall nämlich Studierende dagegen klagen und für den verantwortlichen AStA könnte das teuer werden. Der Unmut unter den Studierenden darüber, bei sämtlichen Ticketvergünstigungen der vergangenen Jahre immer vergessen worden zu sein, sei bereits groß. Die HTW und die HWR haben das Angebot des VBB daher abgelehnt.

»Das ist der erste ›Erfolg‹ der neuen Senatorin, dass das Semesterticket weg ist«, sagt Miguel Góngora über Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU). Er teile zwar die Meinung, dass auch die frühere Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sei und von allen politischen Ämtern zurücktreten müsse – das fordert unter anderem der AStA der Technischen Universität (TU). »Aber es gibt keine Schonfrist für neue Senatoren«, findet er. Es sei ein »Skandal«, dass Schreiners Verwaltung nicht sofort für einen neuen Zuschuss gesorgt habe.

Der AStA der HWR sieht darin eine Diskriminierung von Studierenden aufgrund ihres Alters. Sämtliche hochschulpolitisch aktiven Menschen seien noch jung und würden von den Verantwortlichen in der Verwaltung nicht ernst genommen. Deshalb prüft der AStA zurzeit, ob er nach dem Landesdiskriminierungsgesetz gegen die Verkehrsverwaltung vorgehen kann.

An einigen Hochschulen und Universitäten laufen zurzeit Urabstimmungen; der AStA der TU lädt seine Studierenden in der kommenden Woche zu einer Vollversammlung ein, um Präferenzen abzufragen: lieber das teure Ticket oder gar keins? Danach werde das Studierendenparlament entscheiden, sagt Gabriel Tiedje vom TU-AStA zu »nd«.

Viele Unis verschieben sogar die Rückmeldefrist, »für den Fall, dass in den kommenden Tagen noch ein Wunder geschieht«, wie Döring sagt. Aber weder sie noch Góngora oder Tiedje glauben an eine Lösung für das Wintersemester auf den letzten Drücker. Góngora schätzt, dass sich mindestens so viele Unis gegen das derzeitige VBB-Angebot entscheiden, dass im Wintersemester über 100 000 Studierende kein Semesterticket haben werden.

Weder die Verkehrsverwaltung noch der VBB nehmen auf nd-Anfragen Stellung zu den gescheiterten Verhandlungen bezüglich des Semestertickets. Beide verweisen stattdessen auf Beratungen auf Bundesebene über ein deutschlandweites Ticket. »Das sind zwei verschiedene Themen«, stellt Döring klar. Sie findet es unverständlich, dass der VBB kein günstigeres Angebot vorgelegt hat. Schließlich verzichte der nun auf Zehntausende Kund*innen, die stets ein halbes Jahr im Voraus gezahlt hatten. »Das war doch eigentlich eine Win-Win-Situation«, sagt sie. Auch der Mobilitätswende könnten die gescheiterten Verhandlungen schaden, da manche Studierenden nun vielleicht Auto fahren.

Ob ein bundesweites Semesterticket die Lösung ist, dazu gibt es zudem unterschiedliche Meinungen. Von Seiten der Landesastenkonferenz heißt es: »Wir freuen uns, dass sich zumindest zum Upgrade zum 49-Euro-Deutschlandticket eine Lösung abzeichnet.« Gabriel Tiedje von der TU dagegen hält das »für eine vollkommen falsche Richtung« und für »politisch von oben herab diskutiert«. Ein Semesterticket müsse die Bedarfe der Studierenden vor Ort abdecken und die würden womöglich lieber günstig durch Berlin als mit dem Nahverkehr durch ganz Deutschland fahren.

Günstigere Studierendentarife sowohl für das Deutschland- als auch für das Berlin-Ticket fordert der AStA der HTW zumindest als kurzfristige Lösung. Zudem sollten Bafög-Empfänger*innen Anspruch auf das 9-Euro-Sozialticket haben. Abgesehen davon müssten nun aber so bald wie möglich Verhandlungen für ein neues Semesterticket ab dem Sommersemester 2024 aufgenommen werden. Stefanie Döring hofft, dass das auch einer CDU-geführten Verkehrsverwaltung ein Anliegen ist. »Andernfalls könnte Berlin viele Studierende verlieren«, fürchtet sie.

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