Kinder bei Spielplätzen mitreden lassen

Brandenburg soll ein neues Jugendgesetz erhalten, das Standards für die Mitspracherechte setzt

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

In Brandenburg kann jeder vierte Viertklässler nicht lesen. Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss steigt. Während vor 1990 so gut wie jedes Kind in der vierten Klasse schwimmen konnte, ist dazu heutzutage jedes dritte Kind in der fünften Klasse nicht mehr imstande.

Ungeachtet all dieser Dinge wird das neue brandenburgische Kinder- und Jugendgesetz mit der Behauptung beginnen: »Brandenburg ist ein kinderfreundliches und jugendfreundliches Land.« Dies sei als ein »Bekenntnissatz« zu verstehen, sagte der neue Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) – also nicht als Zustandsbeschreibung. Mit diesem Gesetz werde Brandenburg »Vorreiter« sein, insbesondere im Hinblick auf die Forderung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen nach Beteiligung und Mitsprache, zeigte sich der Minister überzeugt. Vor allem werde das neue Gesetz »einheitliche Standards« setzen, was unter Mitwirkung, Beteiligung oder Anhörung von Kindern und Jugendlichen zu verstehen sei.

Sowohl Freiberg als auch Brandenburgs Kinderbeauftragte Katrin Krumrey sagten, Kinder würden oft selbst am besten wissen, was für sie gut und richtig sei. Kumrey nannte die Aufforderung an Kita-Kinder, die Kleinen müssten den Teller leer essen. Dem Kind müsse bewusst gemacht werden: »Mir geschieht Unrecht.« Sein Protest dagegen sei zu behandeln, dass dem Kind klar wird: »Ich werde ernst genommen.« Es solle aber nicht so weit gehen, dass Erzieherinnen und Erzieher nie »Nein« sagen dürften, setzte Krumrey hinzu.

Kinderschutz steht im Gesetzentwurf an herausragender Stelle. Künftig werden beispielsweise Reiterhöfe und Ballettschulen verpflichtet sein, Kinderschutzpläne aufzustellen. In Sportvereinen ist das mittlerweile üblich. Ein weiteres Anliegen ist der Schutz der Kinder vor Extremismus. Denn er habe in der Jugendhilfe nichts zu suchen, betonte der Bildungsminister.

Im ersten Teil des rund 200 Seiten umfassenden Gesetzentwurfs werden die Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie Rechte ihrer Familien aufgeführt. Kinderbeauftragte Krumrey erwähnte das Recht auf Freizeit und Spiel sowie das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Im zweiten Teil ist der Beratungsanspruch junger Menschen festgeschrieben und als Besonderheit hervorgehoben, dass die Beratung auch außerhalb von Jugendämtern erfolgen solle, um einer Stigmatisierung vorzubeugen. Geeignetere Plätze für solche Gespräche seien Jugendeinrichtungen und Familienzentren. Freiberg sprach von einer »flächendeckenden Grundberatung«, die es einzurichten gelte. Die Rede ist von Ombudsstellen und Verfahrenslotsen.

Ja, die Umsetzung werde das Land und die Kommunen Geld kosten, wurde bestätigt. Wobei selbstverständlich die zusätzlichen Ausgaben den Kommunen vom Land Brandenburg erstattet werden sollen. Da aber in den Jugendämtern schon jede Menge Fachleute fehlen, bleibt die Frage, wer das alles erledigen soll.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei Beratungen und Entscheidungen bildet den dritten Teil des neuen Gesetzes. Der Ist-Zustand auf der kommunalen Ebene wird vom Ministerium als relativ gut eingeschätzt, neu hinzukommen soll eine Dokumentationspflicht. Dass Minderjährige gehört würden, wenn es um den neuen Abenteuerspielplatz gehe, solle nicht nur behauptet, sondern auch belegt werden.

Als Vertreter der jungen Generation saß der 15-jährige Ron Bulgrin neben dem
Minister – im Anzug und mit Zylinder auf dem Kopf. Sein Eindruck sei, dass Jugendliche auf Landesebene eher gehört würden als auf der kommunalen, sagte der Schüler des Potsdamer Leibnitz-Gymnasiums. Was den Autoren des neuen Kinder- und Jugendgesetzes wichtig ist, das ist ihm ebenfalls ein Anliegen: Das Gesetz sollte in einer möglichst einfachen Sprache abgefasst sein, damit diejenigen es verstünden, die es in erster Linie angehe. Er selbst habe dank dem Privileg, einen Zollbeamten zum Vater zu haben, mit Amtsdeutsch weniger Schwierigkeiten, setzte Bulgrin schmunzelnd hinzu.

Warum Bulgrin in Frack und Zylinder dasaß, blieb offen. Die Frage danach sei nicht zulässig, schritt ein Referatsleiter des Bildungsministeriums ein. Niemand müsse sich für seine Kleidung rechtfertigen, bestätigte Minister Freiberg.

Alle seien eingeladen, sich an der Erarbeitung des neuen Gesetzes zu beteiligen, unterstrich Freiberg. Noch sei es nicht fertig. Am 1. Januar 2024 soll es in Kraft treten.

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