- Politik
- Marx 21
Kongress »Marx is’ Muss«: Weder Putin noch Nato
In Berlin treffen sich hunderte Menschen zum Kongress »Marx is’ Muss«
Für das Pfingstwochenende hatte das Netzwerk Marx 21 zu seinem diesjährigen Kongress »Marx is’ Muss« eingeladen. Im nd-Gebäude am Berliner Ostbahnhof versammelten sich hunderte Menschen zu rund 100 Workshops und Diskussionsveranstaltungen sowie am Freitag zu einem Seminartag. Veranstaltende und Teilnehmende griffen Fragen auf, die eine gesellschaftliche Linke, aber auch die Partei gleichen Namens beschäftigen. »Wir möchten dazu beitragen, die Linke klein- und großgeschrieben zu stärken und so Gegenmacht zum Kapitalismus aufzubauen«, schreibt Marx 21 auf der Webseite des Kongresses. Die Organisation war 2007 aus dem trotzkistischen Linksruck hervorgegangen.
Auf mehreren Podien des Kongresses spielte der russische Einmarsch in der Ukraine eine Rolle. »Stoppt den Krieg in der Ukraine« lautete der programmatische Titel einer gut besuchten Veranstaltung. Dort waren sich der Referent für Friedenspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ingar Solty, und der Sozialwissenschaftler Klaus Henning einig, dass sich eine Linke weder auf die Seite der Nato noch auf die Seite Putins stellen dürfe. Henning, der auch zu Osteuropa geforscht hat, widmete sich in einer eigenen Veranstaltung zudem der Geschichte der ukrainischen Nationalbewegung, die sich im Kampf gegen nationale Unterdrückung durch das vorrevolutionäre Russland, aber auch durch die österreichische Habsburger-Monarchie vor 1918 etablierte.
Henning erinnerte daran, dass nach der Oktoberrevolution erstmals die ukrainische Sprache und Kultur gefördert wurde. Hierin sieht der Wissenschaftler auch den Grund, warum Putin bei seiner Rede zum Einmarsch in die Ukraine Lenin und die Bolschewiki als Erfinder der unabhängige Ukraine zu Feinden erklärte. In der anschließenden Diskussionen kamen mehrere Teilnehmer*innen auf diese Ausführungen zurück und betonten die Absurdität, wenn manche das Putin-Regime mit der frühen Sowjetunion vergleichen.
Die Maidan-Bewegung sei zunächst aus der innerukrainischen Opposition entstanden und erst später von Nato-Staaten unterstützt worden, betonte Henning. Er sagte, dass der Krieg schon 2014 begonnen habe, als die neue ukrainische Regierung gegen die Bewegungen in der Ostukraine vorging, die die Umwälzungen der Maidan-Bewegung nicht mitmachen wollten. Henning hat dazu bereits im Jahr 2017 ein Buch mit dem Titel »Krieg im Osten« geschrieben. Auf dem Kongress betonte er die wichtige Rolle, die die russische Antikriegsbewegung beim Kampf für ein Ende des aktuellen Konfliktes habe. Daran knüpfte eine weitere Veranstaltung an, auf der Ewgeniy Kasakow über die russische und Volodymyr Ishchenko über die ukrainische Antikriegsbewegung sprachen. Kasakow ist nd-Autor und hat mit »Spezialoperation und Frieden« im Unrast-Verlag ein Buch über die linken Kriegsgegner*innen in Russland veröffentlicht. Ishchenko ist ein sozialistischer Soziologe aus der Ukraine, der auch die Politik seines Landes kritisch betrachtet.
Unter dem Titel »Weder Putin noch Nato« setzte sich eine weitere Veranstaltung mit der Positionierung der Linkspartei im Ukraine-Krieg auseinander. Dort waren sich die Parteipolitiker*innen Daphne Weber, Özlem Demirel, Christine Buchholz und Heinz Birnbaum einig, dass Die Linke nur als konsequente Antikriegspartei eine Chance habe, ihre momentane Krise zu überwinden. Die vier Teilnehmer*innen des Podiums sprachen sich klar gegen Forderungen nach Waffenlieferungen an die Ukraine aus, wie sie beispielsweise vom Ministerpräsidenten Thüringens, Bodo Ramelow, aber auch von Linksparteipolitiker*innen aus Bremen vertreten werden.
Auch die Krise der Linken war Thema verschiedener Veranstaltungen auf dem Kongress. Diese wird unter anderem darin gesehen, dass die Partei nicht mehr als einheitliche Kraft der Anti-Kriegs-Bewegung wahrgenommen wird. Klar abgegrenzt hat sich der Kongress allerdings auch vom sozialkonservativen Flügel um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Die Zeit, als Lafontaine bei »Marx is’ muss« Säle füllte, ist lange vorbei. Hier wird eine Umstrukturierung am linken Flügel der Partei Die Linke deutlich, zu dem sich die Organisator*innen des Kongresses zählen. Wagenknecht und Co. gehören schon lange nicht mehr dazu.
Sehr präsent war auf der Konferenz das Vorgehen gegen propälästinensische Proteste in Deutschland. Referent*innen wie der Münchner Wissenschaftler Kerem Schamberger wandten sich gegen eine Kriminalisierung von Versammlungen in Deutschland. Verwiesen wurde auf mehrere Verbote in Berlin, bei denen die Polizei zur Begründung etwa erklärte, der dort getätigte Ausruf »From the River to the Sea« sei antisemitisch. Mit Ilan Pappe kam auch ein bekannter israelischer Antizionist zu Wort, der über 75 Jahre Nakba, die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung im Zuge der israelischen Staatsgründung, sprach. Israel-solidarische Linke mit oder ohne Parteibuch waren auf keinem der Podien präsent. Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft warf indes dem Kongress vor, sich zum Beispiel mit dem Terror der Hamas nicht zu beschäftigen, sondern sich »einzig für den Hass auf Israel« zu interessieren. Gefordert wurde etwa, dass sich die »Taz« als Medienpartner zurückziehe. Auch »nd« war Medienpartner von »Marx is’ muss«.
Die Klimabewegung war am Wochenende ebenfalls mehrfach Thema. Die Kongressteilnehmer*innen solidarisierten sich mit der von Repression bedrohten Letzten Generation, die in der vorigen Woche von Razzien bei mehreren Aktivist*innen betroffen war und vom LKA Bayern als »kriminelle Vereinigung« bezeichnet wurde. Diskutiert wurde auf dem Kongress auch über eine engere Kooperation von Klima- und Gewerkschaftsbewegung. So wurde die Initiative »Wir fahren zusammen« vorgestellt, in der Verdi-Mitglieder gemeinsam mit Fridays for Future im Tarifkampf der Beschäftigten des Öffentlichen Nahverkehrs zusammenarbeiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.