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Pressefreiheit: Journalistin nach Waldbesetzung verurteilt
Waldbesetzung in Wuppertal begleitet – Amtsgericht hält das für Hausfriedensbruch
An diesem Mittwoch steht das Urteil gegen Lina E. und Co. im Fokus. Das ergibt Sinn. Trotzdem lohnt auch ein Blick in die Provinz. In Wuppertal wurde gegen die Fotojournalistin Carlotta Steinkamp ein Prozess wegen Hausfriedensbruchs geführt. Ihr Vergehen: Sie hat die Räumung des besetzten Osterholz im Januar 2022 dokumentiert. Sie war nah dran, hat die Perspektive der Besetzer*innen eingenommen.
Über Pressefreiheit und Journalismus wollte die Richterin am Amtsgericht Wuppertal nicht sprechen. Sie sieht es als erwiesen an, dass Steinkamp eine Hausfriedensbrecherin ist, und verurteilte sie zur Zahlung von 60 Tagessätzen in Höhe von 30 Euro.
Der Reihe nach: Im Sommer 2019 besetzten Klimaaktivist*innen ein Waldstück am Rand eines Kalksteinbruchs in Wuppertal. Sie wollten verhindern, dass der Wald gerodet und für den Abraum des Steinbruchs genutzt wird. In der Stadt zog sich über längere Zeit die Debatte über die Erweiterung des Steinbruchs und die Rodung hin. Ende des Jahres 2021 war klar: Die Besetzung wird geräumt, der Steinbruch definitiv erweitert.
Für Steinkamp, die in Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie studiert, war das Osterholz ein interessantes Beobachtungsobjekt. Viele Journalist*innen haben in den vergangenen Jahren die Proteste von Klimaaktivist*innen begleitet. Wie lebt es sich in so einem Wald? Wie ist es, in einem Baumhaus zu schlafen? Welche Gefühle lösen Räumungsandrohungen bei Aktivist*innen aus? Und schließlich: Wie geht so eine Räumung vonstatten?
Das alles durfte Steinkamp am 26. Januar 2022 selbst erleben. Sie befand sich auf einer Plattform in dem besetzen Waldstück, dessen Räumung am Vortag begonnen hatte. Nach einer direkten Aufforderung durch die Polizei verließ sie die Plattform. Am Boden angekommen, musste die junge Frau zahlreiche Erniedrigungen durch die eingesetzten Polizist*innen über sich ergehen lassen. Wie es denn sei, zwischen zwei so hübschen Männern zu sitzen, habe sie ein Polizist bei ihrem Abtransport gefragt, berichtet Steinkamp vor dem Amtsgericht Wuppertal. Zudem sei sie als freie Journalistin nicht ernst genommen worden. Freie Journalist*innen, so sei es ihr erschienen, seien für die Polizei das Gleiche wie Aktivist*innen gewesen.
Den Vorwurf macht auch Till Iseke aus der Geschäftsführung des Steinbruchs Oetelshofen der Journalistin. Die Pressefreiheit zu beschränken, das sei nicht in seinem Interesse, erklärt der Geologe. Aber er habe das Gefühl, dass Steinkamp als Aktivistin dort gewesen sei. »Sich am Tag der Räumung eine Presseweste überzuziehen, macht sie für mich nicht zur Journalistin«, erklärt der Steinbruchbetreiber. Als Beleg für Steinkamps enge Verbindung verteilt Iseke einen Artikel aus der Zeitung »Junge Welt«, in dem Steinkamp ihre Erfahrungen im Osterholz aufgeschrieben hat. Deswegen ist er auch nicht bereit, seine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs zurückzuziehen.
Für Roland Geisheimer aus dem Vorstand des Fotograf*innenverbands Freelens, der Steinkamp unterstützt, offenbart Iseke mit seiner Aussage etwas anderes: »Seine Ausführungen haben sicherlich nicht nur bei mir den Eindruck erweckt, dass dem Herrn an einer freien Berichterstattung nicht allzu sehr gelegen ist.«
Über Journalismus und Pressefreiheit wollen weder die Richterin noch der Staatsanwalt ausführlich reden. Früh scheint für sie festzustehen, dass Steinkamp im Wald war und deshalb schuldig ist. Polizist*innen im Zeugenstand werden nach den Umständen von Durchsagen zum Verlassen des Waldes befragt und dazu, ob sie glauben, dass die kurzfristige Umzäunung gut überwacht worden sei. Das alles läuft wenig ergiebig. Die Räumung ist mehr als ein Jahr her.
Der Staatsanwalt hält Steinkamp des Hausfriedensbruchs für schuldig. Dass sie einen Rucksack mit Utensilien für einen Aufenthalt im Freien dabei hatte, hält er für einen Beweis, dass die Fotografin nicht zum Fotografieren im Wald war, sondern als Aktivistin.
Steinkamps Anwalt hält »die Einleitung, Durchführung und nicht zuletzt das Plädoyer des Staatsanwalts« für einen »Frontalangriff auf die Pressefreiheit«. Auch Steinkamp verweist in ihren abschließenden Worten auf die Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen, in der Deutschland für seinen Umgang mit Journalist*innen bei Klimaprotesten kritisiert wird.
Für die Richterin ist das alles kein Argument. Den Hausfriedensbruch sieht sie als erwiesen an. Auch sonst hätte Steinkamp sich wie andere Journalist*innen in von der Polizei abgesteckten Pressebereichen bewegen können. Ihr Urteil: 60 Tagessätze in Höhe von 30 Euro. Für Roland Geisheimer von Freelens hat das Gericht mit seinem Urteil Artikel 5 des Grundgesetzes »mit Füßen getreten«. Steinkamp und ihr Anwalt kündigten nach Ende des Prozesses an, dass sie Rechtsmittel einlegen werden. Der Kampf um die Pressefreiheit bei der Wuppertaler Waldbesetzung wird also weitergehen.
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