- Politik
- Asylrecht
CDU wird zur AfD-Kopie
Michael Kretschmer fordert neuen Asylkompromiss
»Wir brauchen einen neuen Asylkompromiss«, schrieb der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstag auf Twitter. Damit setzte er auf seine umstrittenen Aussagen von Anfang der Woche noch einen drauf. In einem Interview mit der »Welt« hatte er gefordert, eine Kommission einzusetzen, die einen Vorschlag erarbeiten solle, »zu dem auch eine Grundgesetzänderung gehören könnte«. Kretschmer, der dem rechten Flügel der CDU zugerechnet werden muss, will Druck auf die Bundesregierung machen, kurz vor einem Treffen der EU-Innenminister*innen, bei dem die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf der Tagesordnung steht. Nancy Faeser (SPD) will dort Grenzverfahren zustimmen. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass dort individuelle Fluchtgründe nicht mehr geprüft würden.
Aus den Unionsparteien erhält Kretschmer Zuspruch. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jens Spahn, der erst kürzlich selbst die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention infrage stellte, forderte die Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen zu legalisieren. »Wir müssen das Thema Flucht und Migration neu zu denken wagen«, schrieb er auf Twitter. Kritik kam indessen vom sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. »Das Recht auf Asyl ist schon heute so ausdifferenziert, dass man es kaum ändern kann, ohne es auszuhöhlen«, sagte Wanderwitz zu tagesschau.de.
Auch die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, kritisierte Kretschmer scharf: »Herr Kretschmer betreibt die Politik der rechten AfD auf dem Rücken von schutzsuchenden Menschen.« Mit seinen Forderungen stelle er den wichtigsten gesellschaftlichen Konsens – die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte – infrage.
Das Kalkül der CDU, die Programmatik und Rhetorik der AfD zu kopieren und dieser damit die Wähler*innen streitig zu machen, geht nicht auf. Stattdessen profitiert die AfD selbst. Obwohl sie sich immer mehr zu einer genuinen Nazipartei entwickelt, liegt sie im Bund aktuellen Umfragen zufolge bei 15 bis 17 Prozent. Noch besser steht die AfD in Brandenburg, Thüringen und Sachsen da. In allen drei Ländern finden im kommenden Jahr Landtagswahlen statt, nach derzeitigen Umfragen würde die AfD jeweils stärkste Kraft werden.
Dass Kretschmer wiederum die Schuld an den Umfragezugewinnen der AfD den Grünen unterschieben will, ist geradezu hanebüchen. »Unser Unvermögen, Probleme in diesem Land anzusprechen und zu klären«, so Kretschmer in einem Interview mit der Tageszeitung »Münchner Merkur«, »führt zur Stärke dieser AfD. Daran haben die Grünen leider einen riesigen Anteil mit der autokratischen Ampelpolitik.«
Nicht auszuschließen ist, dass Kretschmer und Konsorten bereits mögliche Kooperationen mit der AfD nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr vorbereiten – ob eine tatsächliche Koalition oder nur eine Tolerierung sei dahingestellt. Zwar dementierte Kretschmer derartige Überlegungen in der »Welt«, aber seine Wortwahl macht stutzig. Auf die direkte Frage, ob er jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließe, sagte er: »Das habe ich vor der letzten Wahl gesagt, und das gilt auch vor der nächsten Wahl.« Doch was ist nach der nächsten Wahl?
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.