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FU Berlin: Die Unfreiheit der Anderen
Beim Festakt zum Jubiläum der FU dominiert eine einseitige Sicht auf die eigene Geschichte
Eine der wichtigsten Wissenschaftsinstitutionen der Stadt feiert Jubiläum: Vor 75 Jahren wurde die Freie Universität Berlin gegründet. Im Dezember 1948 war die FU als Universität des Westsektors im geteilten Berlin gegründet worden. Auch wenn es strenggenommen noch ein halbes Jahr bis zum Geburtstag dauert, feierte Berlins größte Universität schon am Donnerstag mit einem Festakt ihr Bestehen in den deutsch-deutschen Wirrungen des 20. Jahrhunderts.
Eingefunden hatte sich neben Granden der Berliner Wissenschaftslandschaft auch allerlei politische Prominenz. Die Liste war so lang, dass sich FU-Präsident Günter Ziegler in seiner Begrüßung darauf beschränken musste, nur den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und Ex-Regierenden Michael Müller (SPD) namentlich zu erwähnen, während die lange Liste von »Staatssekretären, ehemaligen und aktiven Abgeordneten aus Bundestag und Abgeordnetenhaus und Vertreter des Bezirks« sich mit einer anonymen Kollektivbegrüßung zufriedengeben musste.
Während sich die Promis vor Beginn der Veranstaltung zum obligatorischen Begrüßungsreigen drängten, füllten sich die Reihen hinter ihnen nur langsam. Auch während der Festakt schon lief, blieben ganze Reihen im Audimax im Henry-Ford-Bau in Dahlem leer. Besonders unter den Studierenden stieß der Festakt augenscheinlich auf wenig Interesse: Ein kursorischer Blick ins Publikum zeigte nur wenige Köpfe, die nicht von Haar in verschiedenen Graustufen gekrönt wurden.
»Ich bin seit fünf Wochen Regierender Bürgermeister, bisher war ich noch bei keiner Veranstaltung, wo ich so viele Abgeordnete gesehen habe – bis auf vielleicht im Parlament«, witzelte Kai Wegner zu Beginn seiner Gratulationsrede. Er lobte die FU als »Flaggschiff« der Wissenschaftsfreiheit in der Hauptstadt. Während an der Humboldt-Universität im Ostsektor der Stadt im Gründungsjahr der FU »Unfreiheit« geherrscht habe, habe sich an der FU die »Freiheit des Geistes« durchgesetzt. »Dieser Gründungsgedanke bleibt auch weiterhin ein Auftrag«, sagte er und lobte die Hochschule dafür, verfolgte Wissenschaftler aus anderen Ländern aufgenommen zu haben. »Der Senat wird in den kommenden Jahren alles tun, um die Hochschulen zu unterstützen«, versprach Wegner und stellte ein Ende des Sanierungsstaus in Aussicht.
Auf den antikommunistischen Gründungsmythos der FU rekurrierten auch andere Gratulanten immer wieder. FU-Präsident Ziegler nannte die Freiheit in seiner Ansprache den »Gründungsimpuls« seiner Universität. Die Freiheit der Rede und Wissenschaft, wie er auch heute noch an der FU herrsche, sei ein Bollwerk gegen »antidemokratische Tendenzen bis in die Mitte der Gesellschaft«. In einem Werbefilm, der eingespielt wurde, erinnert sich einer der Gründerväter, dass an der Ostberliner Humboldt-Universität Kinder von Arbeitern und Bauern bei der Zulassung bevorzugt wurden. An der FU durften die Klassengrenzen dank Numerus Clausus dagegen bestehen bleiben.
Was in der Geschichtsstunde in Dahlem ausgelassen wurde, ist, dass die FU auch ungleich unfreiere Traditionslinien fortführte. Nach der Gründung übernahm die Universität 1953 den Großteil der Räumlichkeiten und einen Teil des Personals der Dahlemer Niederlassung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Im Nationalsozialismus wurde dort Eugenik-Forschung betrieben, Institutsmitarbeiter waren am Holocaust beteiligt. 2015 wurden bei Bauarbeiten menschliche Knochen in Dahlem gefunden, die höchstwahrscheinlich aus Verbrechenskontexten stammen. Der unter anderem von der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem erhobenen Forderung, das Stammgebäude der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Ihnestraße zu einem Gedenkort umzuwandeln, ist die FU nicht gefolgt.
In jedem Mythos steckt auch ein Körnchen Wahrheit, so auch bei der FU: Es waren vor allem Studierende, die sich 1948 für die Gründung einer neuen Universität einsetzten, wie sich der Religionsphilosoph Klaus Heinrich in einem 2015 veröffentlichten Gesprächsband erinnert. Die FU sei als Reformhochschule konzipiert worden, an der Studierende gleichberechtigt mit Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern wirken sollten. Dieser Reformgedanke wurde aber schon kurz darauf wieder verworfen, sodass schon bald darauf wieder der sprichwörtliche Muff unter den Talaren herrschte.
1968 entwickelte sich die FU zu einem Zentrum der Studierendenbewegung in der Bundesrepublik. Unter anderem Rudi Dutschke und Gudrun Ensslin wirkten hier. Auch danach blieb es an der Hochschule im beschaulichen Dahlem unruhig. In den Jahren 1988 und 1989 streikten die Studierenden mehrere Semester lang gegen Kürzungspläne der Universitätsleitung. Mehrere studentische Cafés und Projekträume auf dem Campus, die zu dieser Zeit gegründet wurden, zeugen noch heute von diesen Protesten. Zuletzt gab es 2013 einen breitenwirksamen Protest gegen empfindliche Verschärfungen der Studienbedingungen, in dessen Rahmen über Monate immer wieder Studierende Gremiensitzungen sprengten.
Diese andere, rebellische Seite der FU hätte beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen keine Rolle gespielt, hätte nicht eine Gruppe von Studierenden die Veranstaltung kurzzeitig gestört. Kurz vor der Rede Kai Wegners flogen Flyer von der Empore des Audimax. »Die FU feiert 75 Jahre Ignoranz gegenüber studentischen Interessen«, rief ein Studierender und schob nach: »Wegner ist ein Rassist.« Auf den abgeworfenen Flyern wurde kritisiert, dass die FU nicht für eine »tatsächlich befreite Bildung« eintrete und nicht »frei von Zugangsvoraussetzungen, Diskriminierung, Hierarchien, Fremdbestimmung und Wirtschaftsinteressen« sei. Auch die Namensgebung des Henry-Ford-Baus nach dem US-amerikanischen Automobilunternehmer und Antisemiten Henry Ford wurde kritisiert.
Zum 75. Geburtstag erstrahlt die FU in einem neuen Erscheinungsbild, das beim Festakt vorgestellt wurde. Für das neue Logo wurden 3000 Studierende und Mitarbeiter befragt, anschließend wurden aus dieser Befragung Erwartungen an das neue Erscheinungsbild kondensiert. So verkopft wie der Entstehungsprozess klingt, so hässlich ist das Ergebnis: Die Buchstaben »F« und »U« werden zerstückelt und sind nur noch mit Fantasie zu erkennen, gerahmt werden sie von mithilfe eines Algorithmus zufällig verteilten farblichen Blöcken. Wenig überraschend, dass der Applaus für das Machwerk ausgesprochen verhalten blieb.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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