»Tag X« in Leipzig: Kein Protest möglich

Polizei kesselt auch Demonstration gegen Versammlungsverbote ein

  • Jessica Ramczik
  • Lesedauer: 4 Min.

Am vergangenen Mittwoch hat der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden in einem der sogenannten Antifa-Ost-Verfahren gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte mehrjährige Haftstrafen verhängt. Seit fast einem Jahr hatten linke Antifaschist*innen für diesen »Tag X« am Samstag nach der Urteilsverkündung mobilisiert, das genaue Datum dafür war seit einigen Wochen bekannt. Seit Freitag 18 Uhr galt deshalb in Leipzig ein sogenannter polizeilicher Kontrollbereich, der große Teile des Stadtgebiets im Osten, Süden und Westen umfasste. Dort durften die Beamt*innen ohne besonderen Anlass Menschen anhalten und deren Personalien überprüfen.

Jeder linke Aufzug wurde vorab durch eine Allgemeinverfügung untersagt, verantwortlich dafür war das Ordnungsamt, das dem linken Bürgermeister Heiko Rosenthal untersteht. Die öffentliche Sicherheit sei »unmittelbar gefährdet«, hieß es dazu als Begründung. Grundlage für das Verbot seien die Gefahrenprognosen der Polizeidirektion Leipzig sowie die Lageeinschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen sowie weitere Erkenntnisse der Versammlungsbehörde, so das Ordnungsamt. Einen Eileintrag gegen das pauschale Demonstrationsverbot hatte das Verwaltungsgericht am Freitag abgelehnt, das Oberverwaltungsgericht wies einen Widerspruch dagegen noch in der Nacht zurück. Am Samstagnachmittag bestätigte schließlich das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung.

Bereits am Vorabend des »Tag X« kam es im Leipziger Stadtteil Connewitz am Rande eines sogenannten »Massencornerns« zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei. Diese wurde mit Flaschen und Steinen beworfen, vereinzelt brannten Barrikaden, Tränengas wurde eingesetzt. Die Polizei bilanzierte 17 beschädigte Einsatzfahrzeuge und 23 verletzte Beamt*innen.

Zum eigentlichen »Tag X« am Samstag erwartete die Polizei nach eigenen Angaben eine Teilnehmer*innenzahl im mittleren vierstelligen Bereich. Das wurde nicht erreicht, wohl auch, weil viele Auswärtige auf ihrem Weg nach Leipzig von der Polizei daran gehindert wurden, ins Stadtgebiet zu gelangen – oder deren Anreise mit Kontrollen auf den Zufahrtsstraßen und am Bahnhof um Stunden verzögerte.

Was als eine der größten linken Demonstrationen der letzten Jahre stattfinden sollte, endete schließlich in einer stationären Kundgebung im Leipziger Süden unweit von Connewitz. Nach dem Verbot sämtlicher Proteste haben sich dort rund 1800 Protestierende auf dem Alexis-Schumann-Platz zu einer Demonstration unter dem Motto »Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig« zusammengefunden. Als Anmelder fungierte der grüne Stadtrat Jürgen Kasek. Mit lauten Stimmen wurde die Freilassung sämtlicher inhaftierter Antifaschist*innen, die Einstellung aller politisch motivierten Verfahren und die Streichung des Paragraf 129 im Strafgesetzbuch gefordert. Beachtlich war auch hier das Polizeiaufgebot.

Ein Teil der Demonstrierenden weigerte sich, die Vermummung abzulegen. Das nahm die Polizei als Grund, den Aufzug gar nicht erst starten zu lassen – während sie gleichzeitig ihr Einsatzkonzept als »Deeskalation« bezeichnete. Trotzdem setzte sich ein Teil der Demonstration kurz nach 18 Uhr in Bewegung, zunächst in die eine Richtung, dann in eine andere. In beiden Situationen trafen die Protestierenden auf eine massive Polizeikette in Kampfmontur, die von einigen der Gruppe mit Steinen und Flaschen beworfen wurde, auch Bengalos wurden gezündet.

Unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs kesselte die Polizei anschließend mehrere Hundert Demonstrierende am Rand der Karl-Liebknecht-Straße ein, darunter auch Minderjährige. In einer Pressemitteilung am Sonntag sprach die Polizei sogar von »über 1000 Personen in der Umschließung« mit bis zu zehn Wasserwerfern. Alle wurden anschließend erkennungsdienstlich behandelt. Die Betroffenen erhielten von der Polizei nach einigen Stunden zwar Wasser zum Trinken, das von der Stadt angefordert wurde. Die Forderung nach Essen oder die Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen, wies die Polizei indes zurück.

Eine Gruppe von rund 30 Personen, die vor dem Amtsgericht gegen die Repression protestierte, wurde von der Polizei ebenfalls über mehrere Stunden eingekesselt. Ansonsten verlief die Nacht von Samstag auf Sonntag für Leipziger Verhältnisse vergleichsweise ruhig. Im Stadtteil Connewitz brannten wiederholt kleinere Barrikaden, die durch Wasserwerfer gelöscht wurden. Bei einem Angriff auf eine Polizeidienststelle seien zwei Beamte leicht verletzt worden, so die Polizei. Insgesamt seien am Samstag nach 30 Festnahmen gegen fünf Männer Haftbefehle wegen schweren Landfriedensbruchs erlassen worden.

»Im Rahmen des Einsatzgeschehens« seien rund zwei Dutzend Polizeibeamte verletzt worden, erklärte die Polizei am Sonntag. Über 2500 Beamt*innen waren am »Tag X« im Einsatz, eine Dimension die auch in Connewitz ihres Gleichen sucht. Andere Großveranstaltungen wie etwa das Stadtfest, das Sachsenpokalfinale und eine Konzertveranstaltung von Herbert Grönemeyer hätten ohne Störungen stattfinden können, heißt es weiter. Dies wertet die Polizei als Einsatzerfolg. Eine für Sonntagabend gegen die Versammlungsverbote angemeldete Demonstration wurde indes ebenfalls untersagt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -