Israels Präsident vermittelt zwischen Regierung und Opposition

Israelische Regierung von Premier Benjamin Netanjahu setzt auf die Sommerpause, um den Umbau der Justiz doch noch durchs Parlament zu bringen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus der Luft betrachtet werden die Dimensionen der Proteste erst so richtig erlebbar, noch beeindruckender jedoch ist ihre Dauer: Seit bereits 22 Wochen gehen in Tel Aviv und anderswo an den Wochenenden jeweils mindestens 100 000 Menschen auf die Straße. Um gegen die Pläne der rechtsradikalen Regierung zu protestieren, die Justiz umzubauen. Und gegen die Existenz dieser Regierung überhaupt.

Denn Regierungschef Benjamin Netanjahu vom rechtskonservativen Likud ist Ende vergangenen Jahres eine Koalition mit den beiden ultraorthodoxen Parteien und einem rechtsradikalen Wahlbündnis eingegangen. Und seitdem arbeitet man mit Nachdruck daran, den Staat an das eigene Weltbild anzupassen: Eine freundlichere Justiz will man schaffen, Rechte von queeren Menschen abbauen, Religionsausübung in Richtung der Ultraorthodoxie verschieben. Und vieles mehr. Am Ende stünde ein Israel, das zum Nachteil der Säkularen voll und ganz an die Wünsche von Rechten und Ultraorthodoxen angepasst wäre.

Kritik innerhalb des Likud

Die gesamte Absurdität der Situation zeigte sich während der Gay Pride Parade in Jerusalem am Donnerstag. Tausende Polizist*innen schützten die rund 30 000 Teilnehmenden. Ihr Kommandeur: der rechtsradikale Itamar Ben Gvir, Minister für innere Sicherheit, dessen Parteifreunde zu Demonstrationen gegen die Parade aufgerufen hatten. Woraufhin Ben Gvir seine »demokratischen Werte« betonte und »versprach«, er werde natürlich dafür sorgen, dass die Gegendemonstrant*innen »ihr Recht auf freie Meinungsäußerung« wahrnehmen könnten. Die Polizei war entsetzt, denn in der Vergangenheit war es bereits zu Angriffen auf Teilnehmende gekommen; 2015 wurde eine 16-Jährige erstochen. Doch Ben Gvir bestand sogar darauf, während des Marsches präsent zu sein.

Ein Verhalten, das nicht nur bei Linken die Wut anstachelt. Auch die Zahl der Likud-Anhänger*innen, die an den Demonstrationen teilnimmt, wird, gemessen an den sichtbaren Parteisymbolen, immer größer. Das Gefühl geht um, dass Netanjahu und die meisten der Abgeordneten die einstigen Werte der Partei aufgegeben haben.

Im Hintergrund wird derweil seit einigen Monaten über den Justizumbau verhandelt. Am Tisch sitzen neben Präsident Jitzhak Herzog als Vermittler die Spitzen der größten Parlamentsfraktionen. Die Atmosphäre wird als gespannt, teils auch als offen feindselig beschrieben. Die Rechten beharren auf dem Narrativ, dass ja die Rechte die Mehrheit der Wähler hinter sich habe und es nur demokratisch sei, dann auch die entsprechende Politik zu machen.

Misstrauen gegenüber Netanjahu

Doch das ist falsch: Die Parlamentsmehrheit rechnet sich in weniger als 50 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen um. Gemessen an der Gesamtwählerschaft wurde die Koalition sogar von unter 40 Prozent gewählt. Zu wenig, um so einschneidende Schritte umzusetzen, hält die Opposition um Jair Lapid von der Zentrumspartei dagegen.

Dort herrscht tiefstes Misstrauen Netanjahu gegenüber: Er habe in den vergangenen Jahren vielen alles versprochen und nie Zusagen eingehalten. Nun möchte man Garantien haben, bevor man einen Kompromiss schließt. Die Befürchtung: Netanjahu könnte versuchen, die Reform in der ursprünglichen Form dann doch durchs Parlament zu drücken. Vor allem fordert Lapid, dass nun der Justizauswahlausschuss erst einmal nach den alten Regeln gebildet wird und dann mit dieser Sicherheit im Rücken die Kompromisse ausgehandelt werden. Doch genau das will die Koalition auf Druck des rechten Wahlbündnisses »Religiöser Zionismus« keinesfalls akzeptieren.

Stattdessen spielt man auf Zeit und denkt an die Sommerpause. Die Hoffnung ist, dass danach andere Themen die Öffentlichkeit beschäftigen. Denn momentan sieht es in den Umfragen für den Likud überhaupt nicht gut aus. Würde jetzt gewählt, wären Rechte und Religiöse weit von einer Mehrheit entfernt: Zwischen 10 und 14 Sitzen würden sie einbüßen.

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