Religiöse Zionisten auf Frontalkurs

Nachbarländer fürchten Konsequenzen durch Israels Konfrontationspolitik gegenüber den Palästinensern

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die israelisch-ägyptische Grenze ist normalerweise der Ödnis gewordene Beweis, dass Frieden machbar ist: Aus der einstigen Feindschaft ist eine tiefgehende Kooperation in Sicherheitsfragen geworden. Eine Grenze, an der schon seit zehn Jahren nichts Gehaltvolles mehr passiert ist.

Umso erschrockener reagierten beide Seiten, nachdem zwei israelische Soldat*innen an einem einsam gelegenen Wachposten erschossen aufgefunden wurden. Und als sich später herausstellte, dass es sich bei dem Täter um einen ägyptischen Polizisten handelt. Er wurde bei der Fahndung erschossen; auch ein weiterer Soldat kam ums Leben.

Der Vorfall wirft ein Schlaglicht darauf, dass hinter der Grenze, auf der Sinai-Halbinsel, weitgehende Rechtlosigkeit herrscht: Jenseits der Urlaubsorte am Roten Meer haben bewaffnete Banden das Sagen; viele davon haben einen rein kriminellen Hintergrund. Andere haben sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder Al-Qaida angeschlossen. Auch palästinensische Gruppen wie die Hamas oder der Islamische Dschihad finden hier Rückzugsorte. Das Ergebnis: ein jahrelanger, extrem brutaler Krieg zwischen dem ägyptischen Militär und diesen Gruppen, ohne ein Ende in Sicht.

Sorge bereitet den Militär- und Geheimdienstführungen vor allem, dass die politischen Entwicklungen in Israel und den Palästinensischen Gebieten auch Auswirkungen auf die Nachbarländer Ägypten und Jordanien haben könnten. Denn Israels rechtsextreme Regierung will nicht nur den Siedlungsbau unbedingt vorantreiben, sondern lässt auch radikalen Siedlergruppen weitgehend freie Hand.

So stürmten am Wochenende maskierte Israel*innen, die in der auch nach israelischem Recht illegalen Siedlung Chomesch leben, in das palästinensische Dorf Burka. Mindestens eine Stunde lang tobten Straßenkämpfe, bis das Militär eintraf. Beim anschließenden Einsatz von Tränengas wurden mindestens 59 Palästinenser*innen und drei Israelis verletzt.

Chomesch war 2005 geräumt worden; nun möchte die Regierung diesen Ort und drei weitere damals geräumte Siedlungen auf Betreiben des rechtsradikalen Wahlbündnisses »Religiöser Zionismus« erneut zur Siedlung machen – gegen den Widerstand eines Großteils der israelischen Öffentlichkeit und des Militärs, das eine weitere Eskalation befürchtet. Seit Jahresbeginn sind bei Anschlägen und Konfrontationen mindestens 20 Israelis und 114 Palästinenser*innen ums Leben gekommen. 2022 wurden mindestens 31 Israelis und 204 Palästinenser*innen getötet: die höchste Zahl seit 2004.

Auch wenn der israelisch-palästinensische Konflikt weder in den Medien noch in der internationalen Politik derzeit große Aufmerksamkeit erhält, hat er heute die gleiche Intensität wie zur Zeit der zweiten Intifada. Neu ist, dass die aktuelle israelische Regierung dennoch an ihrem Kurs festhält, den Siedlungsbau vorantreiben will, stets auf Betreiben von Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir von den Religiösen Zionisten, die Regierungschef Benjamin Netanjahu bei jeder Gelegenheit unter die Nase halten, dass er auf ihre Stimmen angewiesen ist.

Offen sprechen beide aus, dass es ihnen im Grunde darum geht, möglichst viele Gesetze durchzudrücken, möglichst viele Wohnungen in Siedlungen zu bauen, bevor die Regierung stürzt. Denn was einmal da ist, sei schwer wieder wegzubekommen.

Der Kurs der israelischen Regierung setzt aber auch die Führungen der beiden Nachbarn Ägypten und Jordanien unter Druck. In Jordanien ist ein Großteil der Bevölkerung palästinensischer Abstammung; die Arbeitslosigkeit ist gerade bei jungen Erwachsenen enorm hoch. In Ägypten indes besteht die Sorge, dass Hamas und Islamischer Dschihad ihre Aktivitäten verstärkt auf ägyptisches Gebiet verlagern, um sicher vor israelischen Luftangriffen zu sein.

Nach außen hin scheint das Verhältnis Israels zu den Nachbarn wie immer zu sein. Doch auf beiden Seiten klagen Mitarbeiter der Verteidigungs- und Außenministerien, dass die Zusammenarbeit seit der Regierungsbildung in Israel Ende 2022 gelitten habe. Grund dafür sind Smotrich und Ben Gvir.

Beide haben eine lange Geschichte der Aufstachelung zum Hass, eine Nähe zur in Israel als terroristisch eingestuften Kach-Bewegung. Nun ist Ben Gvir Minister für innere Sicherheit. Und Smotrich ist nicht nur Finanzminister, sondern auch »Minister innerhalb des Verteidigungsministeriums« mit einiger Macht über die Siedlungsplanung und die Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten. Was das konkret bedeutet, ist nicht einmal innerhalb des Verteidigungsministeriums klar; immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen mit Verteidigungsminister Joaw Galant.

In den Nachbarländern, deren Geheimdienste im Westjordanland und im Gazastreifen stark präsent sind, hat das zu der Befürchtung geführt, dass weitergereichte Informationen in die Hände der beiden rechten Politiker finden könnten. Und von dort zu radikalen Siedlergruppen, die diese Informationen für Übergriffe gegen Palästinenser*innen nutzen könnten. Das Misstrauen scheint auch von den israelischen Geheimdienstchefs geteilt zu werden: Anders als normalerweise üblich, werden seit Monaten nur noch Regierungschef und Verteidigungsminister auf den neuesten Stand gebracht.

Die palästinensische Führung hat alledem nichts mehr entgegenzusetzen: Präsident Mahmud Abbas ist mittlerweile 87 Jahre alt; ein Führungswechsel ist dennoch nicht in Sicht. Beim Gipfel der Arabischen Liga Mitte Mai stieß seine Regierung mit der Forderung, die Entwicklung diplomatischer Beziehung zu Israel auf Eis zu legen, auf taube Ohren. Gleichzeitig spitzt sich die finanzielle Lage der Autonomiebehörde immer weiter zu: Die Zuwendungen aus dem Ausland sind stark zurückgegangen. Und das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNWRA befindet sich in einer tiefen Krise. Die Organisation betreibt in den Flüchtlingslagern einen Großteil der Infrastruktur, doch nun fehlt auch hier Geld. Und seit mittlerweile 100 Tagen liegt alles brach – es wird gestreikt.

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