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Boris Johnson verlässt das Parlament
Der ehemalige britische Premierminister lässt eine zerrüttete konservative Partei zurück
Alexander Boris de Pfeffel Johnson, bis Freitag konservativer Abgeordneter des West-Londoner Wahlkreises Uxbridge, ist ein narzisstischer Lügenbold, der Britannien in die Brexit-Katastrophe führte, Wahlversprechungen seelenruhig brach, der Korruption die Tür sperrangelweit offenhielt – in einer Pandemie, die eine Viertelmillion Briten das Leben kostete. Vor drei Tagen desertierte er schmollend und verließ unter wehleidigen Beschimpfungen seine Kollegen. Weg mit Schaden. Wie kam es zum verbitterten Ende? Wie geht es für Großbritannien weiter?
Während der Covid-Krise hatte Johnson Kontakte zwischen den nächsten Angehörigen verboten, Tausende starben, ohne von ihren Liebsten das letzte Lebewohl zu bekommen. Zur gleichen Zeit feierte Johnson mit Beamten und Beraterinnen reihenweise in seinem Amtssitz 10 Downing Street. Als das von ihm selbst streng verbotene ausschweifende Partyleben ruchbar wurde, log Johnson im Unterhaus, es habe keine Partys gegeben, und wenn, dann seien alle Regeln eingehalten worden. Fotos des weintrinkende Premiers widerlegten diese Märchen.
Der Kontrast zu den tränenreichen Abschieden im Lande wurde sogar vielen der eigenen Tories zu bunt; Johnson musste als Premier den Hut nehmen. Ein Untersuchungsausschuss mit konservativer Mehrheit durchleuchtete sein Verhalten. Von den Kollegen zur Rede gestellt, benahm er sich wie ein trotziger Sechsjähriger; ein Theater, das er letzten Freitag im Abschiedsbrief wiederholte. Um sich einen schmählichen Ausschluss nach Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zu ersparen, stolzierte Johnson durch die parlamentarische Hintertür. Jede Spur von Einsicht fehlte, stattdessen kamen wüste Beschimpfungen seines weniger unfähigen Nach-Nachfolgers Rishi Sunak, dass dessen Regierung nicht konservativ genug sei. Durch den Austritt beschert er Sunak einen schwierigen Nachwahltest im verwaisten Uxbridge.
Wie geht es weiter? Einige den Tories nahestehende Blätter prophezeien einen offenen Kampf in einer Partei, der viele Johnson-Getreue noch angehören. Der Brexit-Guru Nigel Farage raunt im BBC-Fernsehen gar von einer parteipolitischen Neuordnung der Rechtskräfte im Lande, erinnert an die Existenz einer Brexit-Nachfolgepartei der sogenannten Reformer. Diese unter dem britischen Mehrheitswahlsystem selbstmörderische Spaltungsperspektive bei den Tories erscheint der Mehrheit der Beobachter jedoch überdramatisiert. Die Wählerinnen und Wähler haben Hollywood-Szenen unter den Regierenden satt, sind von horrenden Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Strom und Gas zermürbt. Sunaks Bemühungen, die Fehler seiner Vorgänger Johnson und Liz Truss wiedergutzumachen, überzeugen sie nicht. Aber die Lust auf eine der EU noch feindlichere Brexit-Politik, wie von Johnson und Farage verkörpert, ist ihnen vergangen.
Die Labour-Opposition scheint hingegen einem Machtwechsel nach der Ende 2024 anstehenden Parlamentswahl optimistisch engegenzublicken, die Demoskopen geben ihr dabei recht. Nur: In dieser starken Position könnte Labour-Chef Keir Starmer nach Ansicht vieler Linker radikaler taktieren.
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