Spanien: Das bittere Erbe Francos

Start der Exhumierungen im größten Massengrab Spaniens

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

Endlich – da sind sich die Angehörigen der Opfer der Franco-Diktatur einig. Am Montag wurde damit begonnen, 128 Opfer aus dem sogenannten Tal der Gefallenen nahe Madrid zu exhumieren, das zwischenzeitlich in »Cuelgamuros« umbenannt worden war. Seit dem Tod Francos waren 47 Jahre, sechs Monate und 24 Tage ungenutzt verstrichen, ohne mit Opferexhumierungen im Franco-Mausoleum zu beginnen. Experten wollen die Gebeine von 128 Opfern des von 1936 bis 1939 dauernden Bürgerkriegs freilegen und an deren Hinterbliebene übergeben, um ihnen »eine würdige Bestattung« zu ermöglichen, erklärte das Ministerium für Demokratische Erinnerung. Dies sei »keine Frage der Politik, sondern einfach der Menschlichkeit«.

Zunächst sollen allerdings nur die Gebeine von 18 Menschen geborgen werden. Begonnen wird in der Krypta der »Kapelle des Heiligen Grabes«. Danach sollen in weiteren Phasen die Reste von weiteren 59 Menschen exhumiert werden, um die Zahl von 128 zu erreichen. Insgesamt sollen 33 833 Leichen, meist Opfer der Franco-Diktatur, in dem Mausoleum verscharrt worden sein, das sich der Diktator noch zu Lebzeiten errichten ließ.

Warum gerade jetzt und nach langer Untätigkeit eilig damit begonnen wird, dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Der sozialdemokratische Regierungschef Pedro Sánchez »zieht erneut das Tal der Gefallenen in die Wahlkampagne«, ist in rechten Zeitungen zu lesen. Das ist auch der Tenor in der rechten Volkspartei (PP), die von Franco-Ministern gegründet wurde und sich vom Putsch 1936 und der Diktatur in den Jahren 1939 bis 1975 nie distanziert hat. Isabel Díaz Ayuso, heimliche Oppositionsführerin und gerade mit absoluter Sitzmehrheit in der Region Madrid bestätigte rechte Regionalpräsidentin, kritisiert die Sánchez-Regierung, die das Thema im Wahlkampf nutzt. Sie ist der Auffassung, die Geschichte Spaniens werde missbraucht.

Die Regierung verweist darauf, dass die Exhumierung von Gerichten auf Antrag der Familien nach der »Überwindung von zahlreichen rechtlichen Hindernissen« genehmigt worden sei. Das ist auch eine eigenwillige Sichtweise, da das zuständige Gericht die Blockierversuche der Franquisten schon vor einem Jahr definitiv abgewiesen hatte. Es bleibt angesichts des Vorgehens der Sozialdemokraten (PSOE) der Beigeschmack, dass es um Wahlpropaganda geht. Auch das »Gesetz zur demokratischen Erinnerung« ist schon seit Oktober in Kraft. Spätestens mit ihm wurden die Exhumierungen möglich, ohne dass sie bis zum 12. Juni in Angriff genommen worden wären.

Es handelt sich um den Versuch, die Chancen für eine Neuauflage der »Linksregierung« angesichts der aufstrebenden Rechten und Rechtsradikalen zu verbessern. Stimmen im linken Lager sollen damit eingefangen werden. Die PP und ihre ultrarechte Abspaltung Vox haben schon angekündigt, das Gesetz zu streichen, wenn sie die Wahlen am 23. Juli gewinnen. Danach sieht es nach ihrem deutlichen Wahlsieg kürzlich bei den Regional- und Kommunalwahlen aus.

Angehörige des Basken Lucas Ugarte, dessen Gebeine ebenfalls geborgen werden sollen, gehen davon aus, dass bei einem Wahlsieg der Rechten die Exhumierungen wieder gestoppt werden. Ugarte kämpfte auf Seiten der Franquisten und fiel 1938 im Bürgerkrieg. 1962 wurden seine Überreste im Friedhof von Tolosa ausgegraben und ins Franco-Mausoleum verbracht. Auch seine Familie will endlich eine würdige Bestattung in seiner Heimatgemeinde.

Opferorganisationen wie die Vereinigung zur Herstellung der historischen Erinnerung (ARMH) hielten der Regierung lange die Untätigkeit vor. Exhumierungen seien auch ohne das neue Gesetz längst möglich gewesen, erklärten sie. Dem Gesetz misst die ARMH nur eine symbolische Bedeutung bei. Der Anwalt Eduardo Ranz, der Opferangehörige vertritt, hatte sich über eine Diskriminierung der Opfer und eine falsche Fokussierung beklagt, da die Täter im Vordergrund stünden. Schon 2019 wurde vor den Parlamentswahlen in einer Art Staatsakt der Leichnam des Diktators Franco auf Staatskosten aus dem Mausoleum auf einen Friedhof nahe Madrid umgebettet. Das Grab wird bis heute auf Staatskosten bewacht, wie »nd« berichtete.

Im April wurde dann auch der Falangist Primo de Rivera auf einen Friedhof in Madrid umgebettet, wie »nd« berichtet hat, was die Opfervereinigungen als »Ungleichbehandlung« durch die progressive Regierung kritisierten. Sie geht weiter. Habe die Regierung im ständigen Dialog mit der Falangisten-Familie gestanden und alle Schritte mit ihr abgestimmt, so sei kein Dialog mit den Angehörigen derer geführt worden, »die infolge der Gewalt der bewaffneten Falangisten verschwunden sind«, erklärte Anwalt Ranz. Er hat öffentlich gemacht, dass die Angehörigen der Opfer nur wenige Stunden vor Beginn der Exhumierungen in einem Brief vom zuständigen Staatssekretär informiert wurden. »Wir möchten Sie darüber informieren, dass heute, am Montag, den 12. Juni 2023, die forensischen Exhumierungen in den Krypten beginnen«, heißt es in dem Schreiben. Zwei Tage zuvor hatte Ranz den Druck auf die Regierung erhöht und sich an den Ombudsmann gewandt. Er hatte die Einhaltung geltender Gesetze gefordert. »Wir wollen, dass die Situation der Entführung beendet wird, die es niemals hätte geben dürfen«, twitterte Ranz.

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