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- Ausstellung »Who By Fire: On Israel«
Die Gesellschaft in einer Fliese
Die Ausstellung »Who By Fire: On Israel« im Haus am Lützowplatz in Berlin zeigt differenzierte künstlerische Auseinandersetzungen mit einem Land, das vielen Deutschen nur als Projektionsfläche dient
Als vergangenen Sommer die Documenta fifteen für Kontroversen sorgte, ging es auch immer wieder um Israel. Vermittelten einige der Exponate, die in Verdacht standen, antisemitische Botschaften zu transportieren, in Wahrheit bloß legitime Kritik am jüdischen Staat? Eine wissenschaftliche Expertenkommission fand im Nachgang der Schau klare Worte und stufte die fraglichen Arbeiten als antisemitisch ein. Judenhass war allerdings gar nicht das einzige Problem. In den meisten Werken war nämlich wenig mehr zu erkennen als politische Propaganda, eine ausgereifte Formensprache gab es nicht.
Höchste Zeit also, dass es einmal um Kunst geht, die sich – auch kritisch – mit dem Leben in Israel, der Gesellschaft und Politik des Landes auseinandersetzt, ohne sogleich in plumpe Narrative zu verfallen. Dies leistet derzeit die Ausstellung »Who by Fire« im Berliner Haus am Lützowplatz. Sie versammelt Arbeiten von zwölf Künstlerinnen und Künstlern – jüdischen, muslimischen und christlichen, geboren innerhalb und außerhalb Israels –, die allesamt auf hohem ästhetischem Niveau arbeiten.
Wohl ist es kaum möglich, über Israel zu sprechen, ohne nicht auch den Nahost-Konflikt zu thematisieren. Gewalt (und gleichzeitig Erlösung) kommt entsprechend gleich im Ausstellungstitel zum Ausdruck: »Who by Fire« ist ein Song von Leonard Cohen, der unter dem Eindruck des Jom-Kippur-Kriegs entstand. Cohen vertonte darin Zeilen des Gebets »Unetane Tokef«, das zu den jüdischen hohen Feiertagen gesprochen wird. 1973 wurde Israel gerade an Jom Kippur, dem Versöhnungsfest und höchsten jüdischen Feiertag, von seinen Nachbarstaaten Ägypten und Syrien überfallen – in nur wenigen Tagen starben damals tausende Soldaten auf beiden Seiten. »Who by Fire« bezieht sich auf den Tod durch Feuer beziehungsweise, auf die Gegenwart bezogen, durch Waffengewalt.
Von Gewalt bekommt man auch sogleich einen Eindruck, wenn man die Ausstellung betritt – immer wieder ist ein lautes Klirren hörbar. Dabei wirkt der Raum visuell eher kontemplativ: Es hängt darin etwa das Gemälde »Cactus of the roof« von Durar Bacri, das einen Feigenkaktus vor der Skyline Tel Avivs zeigt. Wie in vielen seiner Werke verbindet Bacri auch in diesem Motiv Tradition und Moderne. Er spielt dabei mit der ambivalenten Bedeutung des Gewächses: Symbolisch steht es einerseits für die Vertreibung von Araberinnen und Arabern von israelischem Territorium, andererseits werden so aber auch jene Jüdinnen und Juden bezeichnet, die in Israel geboren wurden, nachdem ihre Eltern aus der Diaspora in das Land eingewandert waren. Nicht weit von dem Bild steht auf dem Boden eine Skulptur von Ella Littwitz: ein Bronzeguss aus den Überresten eines Baumes, den der zionistische Vordenker Theodor Herzl einst auf Gebiet pflanzte, das später zu Israel gehören sollte. Nicht weniger als die Wiederauferstehung des jüdischen Volkes nach der Shoah wird hier verhandelt.
Eine Versenkung in diese Arbeiten wird jedoch gestört durch besagte Geräusche, die aus dem durch einen Vorhang getrennten Nebenraum dringen. Hier ist eine aufgezeichnete Performance von Avner Pinchover zu sehen: Das Video »Riot Glass« zeigt den Künstler, wie er mit Steinen immer wieder auf eine aus mehreren Glasscheiben bestehende Mauer wirft, die er auf einem Hügel im Norden Israels installiert hat. Zunächst wirkt es so, als zielte Avner direkt auf die Kamera – oder auf die Zuschauerin? Erst dann wird deutlich, dass sich zwischen Kamera und Steinen eine Glasscheibe befindet, die erst zerbrochen werden müsste, bevor es gefährlich würde. Avner referiert mit seiner Performance auf die »gläserne Decke«, mit der in Israel verschiedene Bevölkerungsgruppen konfrontiert sind: Zwar gelten für alle Einwohner dieselben Rechte, de facto haben jedoch Palästinenser, aber auch Angehörige anderer Minderheiten einen sozialen Status, der viele Schwierigkeiten mit sich bringt.
Zugleich erinnert die Glaswand unweigerlich an die tatsächlich existierenden Mauern, die zwischen Israel und dem Westjordanland beziehungsweise dem Gaza-Streifen verlaufen. Avners Arbeit zeichnet sich durch ästhetische Reduktion aus, die Aufmerksamkeit wird ganz auf das Glas gelenkt – das einerseits trennt, andererseits aber auch durch seine Transparenz und Zerbrechlichkeit metaphorisch Hoffnung vermittelt.
Ebenfalls auf den von blutigen Konflikten geprägten Alltag des Landes verweist die Skulptur »Merkava«, die von Dina Shenhav in die Ausstellung eingebracht wurde. Die Künstlerin hat einen Panzer maßstabgetreu nachgebildet und mit einer gelben Schaumstoffoberfläche versehen. Imposant steht die Fahrzeugattrappe im hintersten Raum der Ausstellung, eng begrenzt durch drei Wände. Und doch hat Shenhav durch das weiche Material die Gefahr gebannt: Es lässt das Objekt nutzlos und beinahe lächerlich erscheinen.
Insgesamt friedvoller wirken die zwei Arbeiten von Ariel Reichman. Er hat überall in den Ausstellungsräumen kleine Zebrakraut-Setzlinge in Glasbehältern verteilt, ihre Wurzeln schwimmen im Wasser. Wegen ihrer Anpassungsfähigkeit wird die Pflanze in Israel auch »The Wandering Jew« genannt. Die Bezeichnung birgt eine Doppeldeutigkeit: Während Israelis damit zumeist die Wanderung des hebräischen Stammes durch die Wüste Sinai assoziieren, geht der Ausdruck auch auf die antisemitische Figur des »ewigen Juden« aus christlichen Volkssagen zurück.
Auch zu sehen sind mehrere Exemplare – drei Hocker mit jeweils einer dazugehörigen Zeichnung – aus Reichmans Werkzyklus »Sumsum«. Der Titel bedeutet auf Hebräisch Sesam und bezieht sich auf die sogenannte Sumsum-Fliese, eine Bodenplatte, die jahrzehntelang in ganz Israel verbaut wurde. Damit war sie einerseits verbindendes Element zwischen den Klassen und Ethnien des Landes, andererseits wurden an ihr auch Unterschiede sichtbar: Denn verlegt wurde der Belag in der Regel von Arabern, deren Arbeit in Israel oft als minderwertig angesehen wird. Mittlerweile gilt die Sumsum-Fliese als antiquiert und ärmlich – und wird gerade deshalb in so manch luxuriöser Wohnung als »ironisches Statement« und damit als Ausweis kulturellen Kapitals wieder verbaut. Vielleicht ist es auch ein ironisches Statement Reichmans, die Besucher auf Fliesenplatten-Hockern vor seinen Zeichnungen Platz nehmen zu lassen – denn etwas anderes zu sehen als das Fliesenmuster gibt es in ihnen nicht. Allerdings kommt darin immerhin die Geschichte und Sozialstruktur des ganzen Landes zum Ausdruck.
Im Begleitheft zur Ausstellung schreibt Kurator Liav Mizrahi, dass das Wesen des Staates Israel mit einem Pendel zu vergleichen sei, das »zwischen Tradition und Innovation, Religion und Säkularismus, zwischen dem zionistischen Ethos und denen, die vor 1948 hier lebten«, hin- und herschwinge. Ziel der Schau sei es, mehr Grautöne in diesen Dichotomien sichtbar werden zu lassen. Tatsächlich ist es gelungen, ästhetische Zugriffe auf das Land zu versammeln, die es allesamt in seiner Vielfalt und Ambivalenz lebendig werden lassen. Gerade in Deutschland, wo Israel vielen lediglich als Projektionsfläche dient, ist das ein Verdienst.
»Who By Fire: On Israel«, bis zum 27. August, Haus am Lützowplatz, Berlin
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