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Prozess gegen Reichsbürger: »Ich würde wieder so handeln«
Angeklagte »Reichsbürger« zeigen keine Reue
Über den Umsturz plaudert Sven B. so nonchalant, als ginge es um den nächsten Wochenendausflug. Man habe halt etwas Öffentlichkeitswirksames tun wollen, erzählt der Buchhalter und ehemalige NVA-Soldat aus Brandenburg, weshalb man beschlossen habe, ein Mitglied der Bundesregierung zu entführen. »Merkel, Spahn«, so zählt der 55-jährige B. auf – die waren zu dem Zeitpunkt allerdings gar nicht mehr im Amt –, »Lauterbach – was weiß ich, was da noch dabei war.«
Die Entscheidung, so B., sei dann über eine Umfrage gefallen, die jemand beim Messengerdienst Telegram gestartet habe. Die Frage habe gelautet, welcher Politiker gerade am unbeliebtesten sei. »Am Ende war unser Karlchen der Führende.« Also sollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführt werden, live vor Fernsehkameras. Doch bevor es dazu kam, wurden Sven B. und vier seiner mutmaßlichen Mitverschwörer*innen festgenommen.
Seit einem Monat muss sich das Quintett aus dem Milieu der Corona-Leugner*innen und der »Reichsbürger«-Szene wegen des Vorwurfs des Terrorismus und des Hochverrats vor dem Oberlandesgericht in Koblenz verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, nicht nur die Entführung Lauterbachs geplant zu haben, sondern gleich das Ende der Bundesrepublik Deutschland. Mit Sprengstoffanschlägen hätten sie für einen dauerhaften Stromausfall im ganzen Land sorgen wollen, um Bundesregierung und Medien lahmzulegen. Ihr Ziel: die Rückkehr zur vermeintlich noch immer gültigen Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871.
Nachdem B. jüngst bereits ausführliche Einblicke in sein Weltbild gegeben hat, das aus rechten Ressentiments und Verschwörungserzählungen besteht, spricht der militante Gegner der Corona-Politik nun als erster Angeklagter auch zum Tatvorwurf. Zwei Tage lang beantwortet er die Fragen des Senats. Und gesteht – aber nicht kleinlaut, sondern voller Stolz. »Ich hatte eine leitende Funktion«, sagt B. »Ich habe zwischen der militärischen und der zivilen Seite koordiniert.«
Freimütig berichtet er, dass er für die Lauterbach-Entführung mit Kosten von 50 000 Euro kalkuliert habe, für »fünf Langwaffen und 15 Kurzwaffen« plus Schutzkleidung und Funkgeräte, alles säuberlich erfasst in einer Excel-Tabelle. Ebenso erzählt er davon, dass die Gruppe diskutiert habe, ob die Personenschützer des Ministers erschossen oder nur eingeschüchtert werden sollten, und ob sie Lauterbach nach Den Haag zum Internationalen Strafgerichtshof bringen oder nach dem – in B.s Worten – »Happening« einfach wieder freilassen sollten. »Es ging nicht darum«, beteuert der Angeklagte, »in den Wald zu fahren und ihn an einem Baum aufzuhängen.«
Den »Haftbefehl« gegen den Minister habe die Mitangeklagte Elisabeth R. verfasst, eine pensionierte Lehrerin und habilitierte Theologin, die die Bundesanwaltschaft für die Chefideologin der Gruppe hält. Doch die 75-Jährige streitet jegliche Tatbeteiligung ab. »Terroristische Entführungen waren nicht in meinem Sinn«, grätscht sie lautstark dazwischen. »Ich habe nichts davon gewusst.«
Auch B. unterscheidet genau, wann er die Verantwortung doch lieber weiterreicht. Ob es um die Beschaffung von Waffen oder Sprengstoff geht, um die Auswahl möglicher Anschlagsziele oder die Rekrutierung weiterer Beteiligter: Immer wieder schiebt er dann den Mitangeklagten Thomas O. in den Vordergrund. Gelegentlich schüttelt dann der 56-Jährige O., auch er ein ehemaliger NVA-Soldat, den Kopf.
B. versucht sich als Stimme der Vernunft darzustellen. Er habe niemanden töten wollen. Ihm hätte bereits ein zweiwöchiger Stromausfall gereicht, während die anderen Gruppenmitglieder von einem halben Jahr geträumt hätten. Ob sich die Gruppe Gedanken über die Folgen eines solchen Blackouts gemacht habe, über Kollateralschäden, über Tote? »Nein«, gibt B. zu. Es seien ja, betont er mehrfach, alles erst Ideen gewesen. Und außerdem, bemerkt er süffisant, habe Angela Merkel ja einmal gesagt: Jeder solle sich auf einen längeren Stromausfall vorbereiten.
Um die »Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reichs« sei es ihm gegangen, um die Rettung der Demokratie vor der »Corona-Diktatur«, erklärt B. Wenn er eines Tages wieder in Freiheit sei, klagt er, werde er ohne Job, ohne Geld, ohne Familie dastehen. »War’s das wert?«, fragt ihn die Senatsvorsitzende Anne Kerber. »Wenn es geklappt hätte, vielleicht«, antwortet B. »Unter den gleichen Bedingungen würde ich wieder so handeln.«
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