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Wahl in Sonneberg: Weit rechts oder ganz rechts?
Ein breites Bündnis will verhindern, dass ein AfD-Mann Landrat in Sonneberg wird
Es sind meist schöne Häuser, die man sieht, wenn man durch Sonneberg im Süden des gleichnamigen Landkreises und Thüringens fährt. Viele tragen die schwarzen Schieferfassaden, die für die Region typisch sind. Dass in diesen Häusern oft Menschen wohnen, die vor etwa zwei Wochen bei den Landratswahlen ihre Stimme einem Mann gegeben haben, der einer als rechtsextrem eingestuften Partei angehört, ahnt man nicht.
Von den Küsten bis zum Bodensee versuchen Menschen zu begreifen, was in dieser Region so schiefgelaufen sein muss, dass der AfD-Mann Robert Sesselmann im ersten Wahlgang der Landratswahl in Sonneberg die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt hat. Etwa 47 Prozent der angegebenen Stimmen hatte er erhalten, was eben bedeutet, dass fast jeder zweite teilnehmende Wähler im Landkreis Sonneberg seine Stimme einem Kandidaten gegeben hat, der für eine Partei im Thüringer Landtag sitzt, deren Landesverband vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. An der Spitze dieses Landesverbands steht Björn Höcke, der eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« bewirken will.
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Sesselmann ist zwar bislang noch nicht durch so extreme Rhetorik aufgefallen. Doch auch er beherrscht die typischen AfD-Slogans. In einem Interview mit der »Jungen Freiheit« faselte er jüngst von einem »Parteienkartell aus den Altparteien« und über »islamistische Straftaten wie die alltäglichen Messerstechereien«. Der CDU-Kandidat für diese Landratswahl, Jürgen Köpper, war im ersten Wahlgang auf etwa 36 Prozent gekommen.
Zwischen diesen beiden Männern – Sesselmann und Köpper – wird sich am Sonntag in einer Stichwahl entscheiden, ob die AfD hier in Südthüringen, wo die Mittelgebirgstäler tief und die Hügel stark bewaldet sind, das erste Mal einen Landrat stellt. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich derzeit kaum seriös vorhersagen. Es gibt keine repräsentativen Meinungsumfragen für diese Wahl, dafür viele Stimmungsberichte, die in der Regel darauf fußen, dass jemand mit Menschen über Gartenzäune hinweg gesprochen hat. Umso drängender ist die Frage nach den Gründen dafür, dass Sesselmann im ersten Wahlgang so viel Zuspruch bekommen hat.
Sonneberg ist eigentlich eine Vorzeigeregion, und das nicht nur wegen der vielen schönen Häuser. Wirtschaftlich und sozial betrachtet, steht der Landkreis seit Jahren gut da. Schon lange herrscht hier de facto Vollbeschäftigung. Viele Menschen pendeln zum Arbeiten ins benachbarten Bayern, wo häufig höhere Löhne gezahlt werden als in Thüringen. In den Einfahrten zu den oft großen Grundstücken der verschieferten Häuser stehen nicht selten zwei Autos.
All das schließt freilich nicht aus, dass es auch hier Probleme gibt, wie sie allgegenwärtig in Deutschland sind. Manche Straßen sind voller Schlaglöcher, der Weg zum nächsten Arzt erscheint vielen Menschen zu weit, manche Schule ist in ihrer Existenz bedroht. Und spätestens infolge des Ukraine-Krieges ist die Migration auch hier wieder ein großes Thema. In der Innenstadt von Sonneberg hört man unter Passanten regelmäßig Gegrummel über »die Ausländer« oder »die Asylanten«.
Warum diese Dichotomie dazu führt, dass die AfD in der Region so viel Zuspruch bekommt, hat der sogenannte Thüringen Monitor kürzlich zumindest zu einem Teil erklärt. Diese repräsentative, soziologische Langzeitstudie, die seit mehr als 20 Jahren die politische Kultur des Freistaats untersucht, hat nicht nur mit Zahlen belegt, wie groß die politisch-gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land sind. Sie hat vor allem gezeigt, dass es für die Zufriedenheit der Menschen mit der Demokratie ganz wichtig ist, wie weit zum Beispiel die nächste Einkaufsmöglichkeit entfernt ist. Objektive, aber abstrakte Daten interessieren die Menschen weit weniger als ihre subjektiv empfundene Lebenssituation, wenn es darum geht, ob sie demokratischen oder extremistischen Kräften zugeneigt sind.
So zeigte der Thüringen Monitor: Unter denen, für die die nächste Einkaufsmöglichkeit schwer zu erreichen ist, sind ungefähr zwei Drittel Anhänger der Populisten. Bei denen, die einfach dorthin gelangen können, ist es dagegen etwa die Hälfte. Bei der Erreichbarkeit von Kindergärten und Schulen gehen die Vergleichswerte sogar noch deutlicher auseinander. Das wirkt sich offenkundig auf die Zufriedenheit der Menschen mit der Bundes- und der Landesregierung aus. Nach den Daten des Thüringen-Monitors 2022 vertrauen 31 Prozent der Menschen in den Städten Erfurt und Jena der Bundesregierung nicht. In den ländlichen Regionen liegen die Vergleichswerte zwischen 47 und 52 Prozent.
Die Wahl des AfD-Mannes dürfte Ausdruck des Protests gegen die Bundes- wie gegen die rot-rot-grüne Landesregierung sein. Aber sie fällt vielen Menschen auch deshalb so leicht, weil sie rassistische oder sogar rechtsextreme Einstellungen haben, die die AfD aufgreift und katalysiert. Wie stark verwurzelt rechtes Gedankengut in all seinen Facetten bis in die oft beschworene »Mitte der Gesellschaft« hinein ist, zeigt der Thüringen-Monitor ebenfalls schon seit Jahren zuverlässig.
All das führte dazu, dass die Kandidaten von Linken, SPD und Grünen in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwanden. Die Kandidatin der SPD, Anja Schönheit, kam auf einen Wert von etwa 13 Prozent; die gemeinsame Kandidatin von Linken und Grünen, Nancy Schwalbach, erhielt nur rund vier Prozent der angegebenen Stimmen. Das ist eine massive Verschiebung der politischen Gewichte, wie sie sich in vielen ländlichen Regionen Ostdeutschlands abzeichnet. Zu erwarten ist, dass auch dort bei Direktwahlen die Entscheidung meist zwischen den Kandidaten von CDU und AfD fallen dürfte. Überdies werden 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Landtage neu gewählt.
Bizarr ist, dass es nicht zuletzt die CDU war, die maßgeblich dazu beigetragen hat, die AfD insbesondere im ländlichen Raum zu stärken. Einerseits gibt es in ihren Reihen nicht wenige Menschen, die sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen können. So hatte sich kurz vor der ersten Runde der Landratswahlen in Sonneberg der CDU-Mann Michael Brychcy, langjähriger Bürgermeister der mittelthüringischen Kleinstadt Waltershausen, offen für eine kommunale Zusammenarbeit mit der AfD gezeigt.
Andererseits haben gerade Vertreter der Union in den vergangenen Monaten vor allem den Menschen auf dem Land das Gefühl gegeben haben, »die da oben« würden gezielt eine Politik gegen »die da unten« in den süd- oder ostdeutschen Dörfern machen. Im Streit um das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplante Heizungsgesetz hatten CDU und auch FDP auf Angstmacherei gesetzt. Sogar Köpper hatte dieses Gesetz als »Durchsetzen grüner Ideologie mit brutalster Gewalt« bezeichnet. Weit weg vom AfD-Sprech ist das nicht.
Inzwischen haben Vertreter von SPD, Linken, Grünen und FDP dazu aufgerufen, Köpper bei der Stichwahl zu unterstützen, um Sesselmann zu verhindern. All diesen Parteien gilt ausgerechnet er als letzte Hoffnung der Demokraten.
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