- Politik
- Schwarz-Grün NRW
Nützliches Update für Hendrik Wüst
Seit einem Jahr regiert in NRW die CDU mit den Grünen – die sich in der Koalition nicht profilieren können
Gut gelaunt betreten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seine Stellvertreterin Mona Neubaur von den Grünen am Freitagvormittag den Saal der Landespressekonferenz im Düsseldorfer Landtag. Kurz nach dem Beginn der Schulferien fängt auch die parlamentarische Sommerpause an. Wüst und Neubaur sprechen darüber, woran sie gerade arbeiten und ziehen eine Bilanz für das erste Jahr der Koalition aus Christdemokraten und Grünen im bevölkerungsreichsten Bundesland.
Aktuell ist die Frage nach einer Lösung für die kommunalen Altschulden, ein Versprechen der selbsternannten Zukunftskoalition. Der Plan dafür wurde gerade vorgestellt. Das Land will die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen, abbezahlen sollen die Kommunen sie dann beim Land, dafür sollen Mittel aus der Gemeindefinanzierung genutzt werden. Zahlreiche Oberbürgermeister*innen und andere Verantwortungsträger*innen haben sich schon dagegen ausgesprochen. Der Plan des Landes brächte keine Entlastung und schränke die finanziellen Spielräume noch stärker ein. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat dem Plan eine Absage erteilt. Der Bund wird die andere Hälfte der Schulden nicht übernehmen.
Hendrik Wüst ärgert das. Mehrfach kritisierte er am Freitag die Bundesregierung. Man müsse jetzt »jenseits des Krisenmodus’« die großen Themen anpacken. Die Altschuldenproblematik würde nicht besser, wenn man noch länger auf eine Lösung warte. Das Land tue bereits, was finanziell in seiner Macht stehe.
Doch auch Lob gibt es für den Bund. Er ziehe mit, wenn es darum gehe, den Stahlstandort NRW umzubauen. Für die grüne Stahlproduktion bei Thyssenkrupp gibt es 700 Millionen Euro vom Land, der Bund will noch einmal 1,3 Milliarden Euro drauflegen. Wüst ist überzeugt, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beihilferechtliche Fragen mit der EU-Kommission klären kann. An die Gewerkschaften, die Mitte Juni bei einem Stahlaktionstag auf die Straße gingen, richtete der Ministerpräsident das Lob, dass sie »für Transformation« demonstrierten und sich Veränderungen nicht verschlössen. Wüst ist damit bei seinem Lieblingsthema und dem Leitmotiv der Koalition angekommen. NRW soll die »erste klimaneutrale Industrieregion Europas« werden. Dafür stecke man alle Energie in »gemeinsame Projekte« und liefere sich keine »Schaukämpfe«, so Wüst.
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur nimmt das gerne auf, redet über den Kohleausstieg 2030 und den Ausbau von Windkraftanlagen. »Wir können zukunftsfähige Energiepolitik«, erklärt sie selbstbewusst. CDU und Grüne seien in NRW in der Lage, widerstrebende Interessen zu »versöhnen«, führt Neubaur aus. Man werfe die Leistungen der Vorgängerregierungen nicht weg, sondern gebe der Politik des Landes ein »Update«. Neubaur beklagt mit Blick auf die Bundesregierung eine zunehmende »Polarisierung«. »Nüchterne Debatten« könnten kaum noch geführt werden. Auf die Frage, wer in der schwarz-grünen Koalition mehr Kröten schlucken muss, antwortet Neubaur diplomatisch: »Es ist kein Geheimnis, die Grünen müssen mehr reden.«
Zu reden gibt es bei den Grünen genug, bei zahlreichen Kernthemen hat die Partei in dem schwarz-grünen Jahr keine gute Figur gemacht. Angefangen bei der Räumung von Lützerath, während der Hendrik Wüst vollkommen untertauchte und Neubaur den Vorgang in der Öffentlichkeit verteidigte. Auch beim Skandal um Bahar Aslan, die wegen eines polizeikritischen Tweets ihren Lehrauftrag an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung verlor, blieben die Grünen zurückhaltend. Man könne verstehen, wenn Polizist*innen sich von Aslan angegriffen fühlten, hoffe aber gleichzeitig, dass sie weiter unterrichten könne. Bislang möchte die Hochschule Aslan nicht wieder in der Lehre einsetzen. Unterstützung für Rassismuskritik und eine Polizei, die ihre eigenen Strukturen reflektiert, sieht anders aus.
Das merken die Grünen auch in Umfragen. Nach den 18 Prozent bei der Landtagswahl 2022 liegt die Partei in jüngsten Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent. Die grünen Minister*innen sind den Menschen in NRW entweder nicht bekannt oder sie beurteilen ihre Arbeit schlecht. Bei Klimaaktivist*innen und Umweltschützer*innen ist die Unzufriedenheit über die Arbeit der Grünen besonders groß. »Ich sehe bei der Arbeit der Koalition wenig Licht und viel Schatten«, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bund in NRW, dem »nd«. Die angekündigte sozial-ökologische Erneuerung bleibe genauso aus wie eine Strategie zur Klimaanpassung und gegen die Biodiversitätskrise.
Und so bleiben Wüst und seine CDU die Gewinner dieser Koalition. Erfolge werden für sie gezählt, während die Grünen eigene Positionen kaum wahrnehmbar vertreten können. Wüst fühlt sich derweil offenbar zu Höherem berufen. Auch am Freitag wollte er Ambitionen, Kanzlerkandidat der CDU zu werden, nicht ausschließen. Er betonte lediglich, dass sein Platz derzeit in Nordrhein-Westfalen sei und die Union über die Kanzlerfrage im kommenden Jahr entscheidet.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.