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Israel: Über die deutsche Befindlichkeit hinaus
In Berlin läuft eine Veranstaltungsreihe zur Ausstellung »Who by fire: On Israel«
Der Titel der Ausstellung »Who by fire« im Haus am Lützowpark ist eine Hommage an den Künstler Leonard Cohen. Die Zeilen »Wer durch Wasser und wer durch Feuer, wer durch Schwert und wer durch wildes Tier, wer durch Hunger und wer durch Durst, wer durch Erdbeben und wer durch Pest« schrieb er nach seinem Aufenthalt in Israel während des Jom-Kippur-Kriegs 1973. »On Israel«, so lautet der Untertitel. Cohens Verse zeigen die gängige Modalität des Sprechens über den Staat in einem Kriegs- und Krisenmodus.
In Deutschland funktioniert Sprechen über Israel oft über eine Antisemitismus-Debatte, bei der deutsche Befindlichkeiten ausgetauscht werden, die eine wirkliche Diskussion gar nicht erlauben. Dass die Veranstaltung »Über Israel reden«, die im Rahmen der Ausstellung am vergangenen Mittwoch stattfand, anders wurde, lag an Meron Mendel.
Der Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main versteht sich als Linker. Nachdem der heute 47-Jährige im Rahmen eines Stipendiums nach München gezogen war, bekam er schnell die Feinheiten der Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Linken um Israel mit. »Zunächst bin ich bei einer israelsolidarischen linken Gruppe freundlich aufgenommen worden. Mit der Sympathie ist es aber schnell vorbei gewesen, nachdem ich mich als klarer Kritiker der israelischen Innenpolitik zu erkennen gab«, erzählt er.
Auch später scheut Mendel keine Auseinandersetzung. So ist er ein Gegner der BDS-Kampagne, die Israel auf allen Ebenen boykottieren will. »Ich habe selber erlebt, wie dadurch Kontakte mit linken israelischen Gruppen und Personen erschwert oder sogar unterbunden wurden«, sagt er. Trotzdem kritisiert er den Bundestagsbeschluss gegen den BDS, der keine Gesetzeskraft habe und trotzdem in Grundrechte eingreife.
»Ich bin vom damaligen CDU-Bürgermeister Uwe Becker zur Ausladung einer Diskussionsteilnehmerin aufgefordert worden, weil ihr eine Nähe zur BDS-Kampagne vorgeworfen wurde«, berichtet er. Mendel recherchierte nach und stellte fest, dass die Vorwürfe falsch waren. Der kamerunische Historiker Achille Mbembe hingegen ist ein klarer BDS-Befürworter. Laut Mendel habe dieser mit seiner Autorität dafür gesorgt, dass eine linke israelische Wissenschaftlerin an einem Kongress in Südafrika nicht teilnehmen konnte. Deshalb hatte Mendel zunächst wenig daran auszusetzen, dass Mbembe im August 2020 als Eröffnungsrede für die Ruhrtribunale wegen seiner Position zu Israel in die Kritik geriet. »Wer selber seine Macht nutzt, um eine israelische Linke zu canceln, braucht sich über eine solche Kritik nicht zu beschweren«, lautete seine Position dazu.
Auch zum Antisemitismusstreit um die Kasseler Documenta im letzten Jahr, hat Mendel differenzierte Positionen. Er kritisiert eine gegen Israel gerichtete Stimmung, als Beispiel nennt er die Drohung von Mitarbeiter*innen den Strom zu kappen, wenn der als Zionist beschimpfte Nathan Schneider dort zu Wort kommen sollte. Gleichzeitig plädiert Mendel bei den Kunstwerken für mehr Differenzierung. Die Klassifizierung »antisemitisch« treffe auf Zeichnungen zu, in denen Juden mit antisemitischen Klischees und Gesichtszügen dargestellt würden. Eine Karikatur einer algerischen Zeitung, die jüdische Soldaten als Roboter darstellt, sei hingegen nicht antisemitisch. »Man kann von palästinensischen Karikaturist*innen nicht erwarten, dass sie israelische Soldaten vorteilhaft darstellen«, so Mendel.
Seine Ausführungen wurden vom Publikum zum großen Teil mit Applaus kommentiert. Nur drei Frauen gingen vorzeitig und äußerten im Hinausgehen Unverständnis über Mendels Kritik am BDS-Beschluss des Bundestags. Das Gespräch setzte mit dem sachlichen Vortrag Maßstäbe für die Veranstaltungsreihe zu der Ausstellung. Am 28. Juni wird ab 19 Uhr der Film »Antisemitismus als Kulturtechnik« von Leon Kahane und Fabian Bechtle gezeigt.
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