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Blaupause für Argentinien

Die Verfassungsreform im rechts regierten Jujuy stößt vor den Präsidentschaftswahlen auf Widerstand

  • Pablo Flock, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Juni hatte sich Gerardo Morales wohl anders vorgestellt. Im Mai konnte sich der Gouverneur von Jujuy bei den Regionalwahlen mit seinem Nachfolger Carlos Sadir im Glanz des Sieges sonnen. Sadir vom neoliberal-rechten Parteienbündnis Frente Cambia Jujuy errang 49 Prozent der Stimmen und Morales selbst wurde Sprecher der zugleich gewählten Verfassunggebenden Versammlung von Jujuy. Knapp einen Monat später finden in den meisten Städten seiner im äußersten Norden gelegenen Provinz Straßenschlachten statt und auch in Buenos Aires, Córdoba und anderen Städten des Landes sind die Rufe nach seinem Rücktritt und einer gänzlichen Rücknahme der Reform von Jujuy zu hören. Die peronistische Zentralregierung des Landes rügt ihn und prüft Interventionsmöglichkeiten.

Seit dem 17. Juni herrscht in Jujuy Ausnahmezustand mit Streiks, Straßensperren und blutig niedergeschlagenen Protesten in Städten und Dörfern, die bereits über 170 Verletzte, dutzende Inhaftierte und drei verschwundene Personen forderten. In vielen anderen Provinzen streiken zudem Gewerkschaften der Lehrer und des Transportgewerbes in Solidarität mit den Protesten der nördlichsten argentinischen Provinz. Die Proteste richteten sich vor allem gegen das geplante Verbot von Straßenblockaden und anderen Formen des Protests.

Die karge Andenprovinz Jujuy hat die höchste Dichte indigener Gemeinschaften des Landes. Somit verwundert es nicht, dass indigene Gemeinschaften und ihre Repräsentant*innen die Proteste anführen, zusammen mit verschiedenen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und dem antikapitalistischen Parteienbündnis Frente de la Izquierda. Sie kritisieren das Verbot von Protestformen wie Straßensperren und Besetzungen, die sich seit den Massenprotesten von 2001, die den damaligen Präsidenten Fernando de la Rúa zur Flucht außer Landes trieben, großer Beliebtheit erfreuen. Zudem prangerten sie an, dass die Verfassungsänderung den boomenden Abbau von Lithium und seltenen Erden für die Konzerne erleichtern soll. Jujuy liegt im sogenannten Lithiumdreieck innerhalb der Staaten Argentinien, Bolivien und Chile. Außerdem sei die nach nur einem Monat abgeschlossene Ausarbeitung der neuen Verfassung mit zu wenig Konsultation der Bevölkerung geschehen.

Gouverneur Morales ließen die Proteste nicht unbeeindruckt. Am 19. Juni war er zu Konzessionen bereit. Die Paragrafen zu Landrechten sollen vorerst auf Eis gelegt werden, bis mehr indigene Gemeinschaften konsultiert wurden. Ursprünglich war auch eine Änderung der Landrechte der Indigenen vorgesehen. Das Provinzparlament verabschiedete am vergangenen Dienstag eine Version des neuen Verfassungstextes. Der genaue Wortlaut wurde jedoch zunächst nicht veröffentlicht.

In allem anderen, besonders der Repression und der Rechte der Protestierenden, wollte er aber keinen Zentimeter abweichen. Im Gegenteil: Nachdem der Sekretär für Menschenrechte der argentinischen Regierung dazu aufforderte, die Repression einzustellen, twitterte Morales, die aktuelle Mitte-links Regierung der Peronisten unter Alberto Fernández habe die Proteste angezettelt. Andere Kandidaten und führende Politiker des Bündnisses Cambiemos um den Ex-Präsidenten Mauricio Macri sprangen ihm zur Seite und behaupteten, die Peronisten wollten ihre Wahlniederlage nicht anerkennen. Wahlkampf eben. Denn eigentlich hatte ein Großteil der peronistischen Abgeordneten und Mitglieder des Verfassungskonvents den Entwurf mitgetragen. Nur zwei verließen den Konvent zusammen mit den Repräsentanten des Linksbündnisses.

Die Delegation von indigenen Repräsentant*innen, die seit dem Beginn der Protesten in Jujuy in der Hauptstadt Buenos Aires eine Mahnwache vor der Provinzvertretung hält, erhofft sich von der peronistischen Regierung Argentiniens eine Intervention. »Wir werden nicht gehen, bis die Regierung den Frieden und den Rechtsstaat in Jujuy wieder hergestellt hat«, versicherte eine Repräsentantin gegenüber »nd«. Justizminister Martín Soria stellte auch schon klar, dass es eine verfassungskonforme Möglichkeit für eine solche Intervention gäbe. Diese müsste aber, wie eine ähnliche, unabhängige Gesetzesinitiative einer Abgeordneten, von beiden Kammern des Kongresses abgesegnet werden. Im Senat ist die Mehrheit der Regierung allerdings knapp.

In den Versammlungen der Mahnwache ist man sich bewusst, welch gefährliche Blaupause die Reform in Jujuy sein könnte, wenn sie durchgeht. »Es ist ein Versuchslabor«, ergreift einer das Wort. »Andere Provinzen könnten nachziehen. Morales könnte auch Vizepräsident werden.« Im Oktober und im möglichen Falle einer zweiten Runde im November wird in Argentinien ein neuer Präsident gewählt. Morales ist als Vize des aussichtsreichen Bürgermeisters von Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, im Rennen.

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