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Spezialeinheit aus Münster bleibt straffrei
Strafwürdige Postings in Chatgruppe stören keinen »öffentlichen Frieden«
Die Staatsanwaltschaft Münster hat 15 von 16 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Münster eingestellt. Darüber berichtete am Sonntag zuerst das »Westfalen-Blatt« und berief sich dabei auf deren Sprecher und stellvertretenden Behördenleiter, den Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Die Verdächtigen werden demnach nicht wegen Chats mit Hitler-Bildern, rassistischen und frauenfeindlichen Inhalten sowie sexualisierten Darstellungen von Kindern und Jugendlichen in einer Whatsapp-Gruppe strafrechtlich verfolgt.
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Das Polizeipräsidium Bielefeld hatte in dem Fall ein Jahr lang ermittelt, nachdem über eine Handyauswertung zu rechtsextremistischen und gewaltverherrlichenden Postings eines anderen SEK-Beamten auf einem Messengerdienst zunächst acht Beschuldigte der in Rede stehenden Chatgruppe entdeckt wurden. Sieben von ihnen gehörten dem SEK Münster an. Im November wurde aus einem Bericht an den Innenausschuss des Landtages bekannt, dass die Zahl der beschuldigten Beamten auf 16 gestiegen ist. Sie sollen in verschiedenen Präsidien des Bundeslandes gearbeitet haben, außerdem im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten.
Rechtsextreme Äußerungen in geschlossener Chatgruppe erlaubt
Zu den Gründen der Einstellung bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Münster gegenüber dem »nd«, die Verfolgung von Straftatbeständen wie Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen setzten das Merkmal der Öffentlichkeit voraus. Es habe sich aber um eine geschlossene Chatgruppe gehandelt. Deren Inhalte hätten außerdem nicht den »öffentlichen Frieden« gestört.
Es sei auch nicht nachzuweisen, dass kinder- und jugendpornografische Bilder willentlich empfangen worden seien. Ein solcher »Besitzwillen« – etwa durch zustimmende Kommentare – sei nicht bei allen Gruppenmitgliedern nachweisbar, so die Sprecherin. 13 Verfahren wurden deshalb mangels Tatverdachts eingestellt.
Zwei der Beamten hatten die Inhalte nachweislich gepostet, auch hier erfolgte jedoch eine Einstellung, nachdem diese im vergangenen Monat vierstellige Geldbeträge bezahlt hatten. Dabei wurde berücksichtigt, dass sich die Vorfälle 2017 und 2018 ereigneten, also noch bevor der Besitz kinder- und jugendpornografischer Darstellungen durch ein Bundesgesetz im Juli 2021 als Verbrechen eingestuft wurde.
Bei einem letzten Beschuldigten schlug die Staatsanwaltschaft ebenfalls die Einstellung gegen Geldauflage vor, dieser hat sich aber laut der Sprecherin noch nicht dazu geäußert. Gegen neun Beamte laufen weiterhin disziplinarrechtliche Ermittlungen. Alle ehemals Beschuldigten sind jedoch wieder im Dienst, weitere Konsequenzen daher unwahrscheinlich.
Auch Beamte in Hessen und Sachsen-Anhalt kommen davon
Bis Anfang dieses Jahres hatte bereits die Staatsanwaltschaft in Frankfurt Ermittlungen wegen volksverhetzender Inhalte in einer Chatgruppe, darunter auch NS-Symbole, gegen mehrere SEK-Beamte beendet. Acht Fälle wurden eingestellt, ein neunter gegen Auflage, berichtete die »Frankfurter Rundschau«. In fünf Fällen ergingen Strafbefehle, gegen einen davon legte der Verurteilte Widerspruch ein, das Verfahren wurde schließlich gegen Zahlung einer Geldsumme eingestellt. Gegen zwei Beschuldigte wurden Ermittlungen wegen Geringfügigkeit nicht weiter verfolgt. In drei Fällen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage und stellte den Prozess in einem Fall gegen Zahlung von 6000 Euro ein.
Ebenfalls im Januar kamen zwei polizeiliche Personenschützer aus dem »direkten Umfeld« von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) straffrei davon. Die Angehörigen des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) wurden verdächtigt, in Chatgruppen Bilder und Texte mit verfassungsfeindlichen, rechtsextremen Inhalten ausgetauscht zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch – ähnlich wie nun in Münster – keine Ermittlungen aufgenommen, da es an der Strafbarkeit der geteilten Inhalte gefehlt habe.
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