Rheinmetall in Großenhain: Eine Ansiedlung mit Sprengkraft

Der Rüstungskonzern Rheinmetall soll in Großenhain eine Munitionsfabrik planen, stößt bei den Bewohnern aber auf viel Widerstand

  • Hendrik Lasch, Großenhain
  • Lesedauer: 7 Min.
Noch herrscht meist Stille auf dem Flugplatz Großenhain. Bald aber könnte hier eine Pulverfabrik entstehen, wogegen es in Bevölkerung und Kommunalpolitik starken Widerstand gibt.
Noch herrscht meist Stille auf dem Flugplatz Großenhain. Bald aber könnte hier eine Pulverfabrik entstehen, wogegen es in Bevölkerung und Kommunalpolitik starken Widerstand gibt.

Die Maschine steigt steil in den wolkenlosen Himmel, dreht sich um ihre eigene Achse und setzt, eine Rauchspur hinter sich herziehend, zum Looping an. Hunderte Zuschauer am Rande der Rollbahn legen die Köpfe weit in den Nacken und filmen die waghalsigen Manöver. Auf dem Flugplatz in Großenhain fanden an diesem Wochenende wie alle zwei Jahre »Großflugtage« statt. Für ein Wochenende brummt das Areal am Rande der 20 000 Einwohner zählenden sächsischen Kleinstadt, auf dem im Februar 1914 das erste Flugzeug landete und das heutzutage zu den ältesten noch in Betrieb befindlichen Flugplätzen in Deutschland zählt. An regulären Wochentagen ist hier wenig los. Jetzt aber steigen im Viertelstundentakt historische Doppeldecker zu Rundflügen auf, und Modellflugzeuge jagen in die Höhe.

Wer weiß, wie lange noch. Für den Flugplatz Großenhain gibt es offenbar einen gewichtigen Interessenten. Der Rüstungskonzern Rheinmetall will dem Vernehmen nach eine Pulverfabrik errichten, in der chemische Vorprodukte für die Munitionsherstellung produziert werden sollen. 800 Millionen Euro will das Unternehmen demnach investieren und bis zu 600 Arbeitsplätze schaffen. Es gebe Gespräche mit der Landesregierung über eine Ansiedlung, heißt es in Medienberichten; angeblich könnte die Produktion bereits 2025 starten. Für den Flugplatz wäre es wohl das Ende. Eine Pulverfabrik dürfte sich kaum mit einem Flugbetrieb vertragen, ganz gleich, wie klein die Maschinen sind.

Die Großenhainer, die sich dieser Tage am Rand des Wochenmarktes um einen Klapptisch drängen, halten nichts von der Pulverfabrik, auch wenn sie keine Hobbyflieger sind. Vielmehr bringen sie grundsätzliche Einwände vor. »Ich bin absolut gegen Krieg«, sagt eine ältere Frau. Auch in die Ukraine, fügt sie ungefragt hinzu, »sollten wir nicht immer noch mehr Waffen schicken, sondern zu Verhandlungen aufrufen«. Sie gehe zwar nicht davon aus, den Produktionsstart im geplanten Werk noch mitzuerleben: »Insofern habe ich persönlich keine Angst.« Aber es tue ihr »leid um das viele Geld, das dafür vergeudet wird«. Von Umstehenden kommt Zustimmung. »Wir wollen eine friedliche Nutzung des Flugplatzes«, sagt ein Passant. »Wir haben hier genug unter dem Militär gelitten«, setzt ein anderer hinzu. Und Kerstin Lauterbach sagt: »Gegen eine Pulverfabrik hätten wir ja gar nichts. Aber nur, wenn es Wasch- oder Brausepulver ist.«

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Lauterbach ist Kommunalpolitikerin; sie sitzt für die Linke im Stadtrat von Großenhain und sammelt anlässlich des Wochenmarktes gemeinsam mit Mitstreitern Unterschriften gegen die Ansiedlung des Rüstungsunternehmens. Die Resonanz ist gut; binnen zwei Stunden tragen sich knapp 100 Menschen in die Listen ein. In den nächsten Wochen soll jeweils dienstags und donnerstags weiter gesammelt werden: vor Kaufhallen, am Bahnhof oder in den Ortsteilen direkt neben dem Flugplatz am nördlichen Rand der Stadt. Der Protest läuft, obwohl es offiziell von Seiten des Landes noch keinerlei Information gibt: keine Bestätigung der Berichte, keine Nachricht an Stadtverwaltung oder Stadtrat. »Man lässt uns hier dumm sterben«, sagt Lauterbach. Auch im Landtag gebe es bisher keinerlei Information, sagt Rico Gebhardt, der dort die Linksfraktion führt und an diesem Tag seine Genossin in Großenhain unterstützt.

Die Linke, die sich als Friedenspartei definiert, ist nicht die einzige, die in der Stadt gegen den Rüstungsbetrieb mobilisiert. Kürzlich unterschrieben 16 von 22 Stadträten einen offenen Brief, in dem es heißt: »Wir wollen keine Produktion von Rüstungsindustrie in Großenhain haben.« Begründet wird das mit der langjährigen militärischen Nutzung des Flugplatzes. Sie habe »die Menschen in Stadt und Region tief geprägt und ihre ganz eigenen Erfahrungen machen lassen«. Angeführt wird aber auch die »Angst vor unkalkulierbaren Gefahren«. Viele fürchten, dass ihnen das Werk bei einer Havarie um die Ohren fliegt. Die nächsten Wohnhäuser sind nur 300 Meter vom potenziellen Standort entfernt, zum Markt sind es zwei Kilometer. Sorgen bereiten mögliche technische Störfälle, aber auch Raketen: »Die Russen wissen ja, wo sie uns finden.«

Das liegt daran, dass sie den Flugplatz Großenhain bis vor 30 Jahren nutzten. Anwohner erinnern sich an enormen Fluglärm, an Tiefflüge auch am Wochenende und den Absturz eines Jagdflugzeugs am Stadtrand. Nach Ende der DDR stellte sich heraus, dass auf dem Militärflugplatz auch ein »Sonderwaffenlager« für Atomwaffen bestanden haben soll und Großenhain deshalb Erstschlagsziel der Nato war. Als die Sowjetsoldaten 1993 abzogen, hatte man von der militärischen Nutzung die Nase voll. Auf die Tradition, die von kaiserlichen Husaren begründet und dann von Wehrmacht, NVA und Roter Armee fortgesetzt worden war, pfiff man. In ehemaligen Kasernen sind heutzutage ein Bürger- und Bildungszentrum und eine Wohnanlage für Senioren untergebracht. Am Rand des Flugplatzes stehen vor den Hangars zwar noch ein paar sowjetische Hubschrauber herum. Aber von Garnisonsstadtstolz ist in Großenhain nichts mehr zu spüren.

Für die Landesregierung ist die ablehnende Haltung ein Problem. Für sie wäre die Ansiedlung von Rheinmetall ein Coup, weil man auf diese Weise vom 100 Milliarden Euro schweren Rüstungspaket des Bundes profitieren könnte. »Wenn man das macht«, sagte CDU-Regierungschef Michael Kretschmer kürzlich, »sollte man auch versuchen, eine solche Produktion in Deutschland und damit die Wertschöpfung in unserem Land zu haben.« Allerdings ist die Anzahl geeigneter Flächen in Sachsen mittlerweile überschaubar. Das »Industriegebiet Nord«, als das der ehemalige Flugplatz vermarktet wird, ist 150 Hektar groß. Von einem »Filetstück im Flächenportfolio des Freistaats« spricht Dirk Diedrichs, Beauftragter des Landes für Großansiedlungen, und einer »Schlüsselfläche« für den Wirtschaftsstandort. Käme Rheinmetall, hätte sich für das Land der Aufwand gelohnt, mit dem die Fläche saniert wurde. Rund 34 Millionen Euro flossen in die Munitionsberäumung und die Beseitigung von Kerosinresten.

Die Mühe weiß man auch in der Großenhainer Bürgerschaft zu schätzen, und gegen eine Industrieansiedlung und damit verbundene Jobs hätte man nichts einzuwenden. Bisher sorgen in der Gegend ein großes Werk für Spanplatten, ein Chemiewerk von Wacker und ein Betrieb für Pkw-Anhänger für Jobs. Für den ehemaligen Flugplatz hat die Stadt klare Vorgaben artikuliert. »Keine Windkraft, kein Solar, keine Chemie«, sagt Baubürgermeister Tilo Hönicke (CDU). Die Ansiedlung eines Rüstungsunternehmens sei indes nicht explizit ausgeschlossen worden, räumt Lauterbachs Ratskollege Harald Kühne ein: »Wir hätten nie vermutet, dass so etwas kommt.«

Nun ist der Widerstand groß, und zwar parteiübergreifend. Auch örtliche CDU-Politiker wie Hönicke greifen den Unmut der Bevölkerung auf. »Wir lassen die am ausgestreckten Arm verhungern«, sagt er in Richtung des Rüstungsunternehmens und verweist darauf, dass die Stadt bei der bisher nicht erfolgten Anbindung der Fläche an das Strom- und Wassernetz mitzuentscheiden habe. Die Pulverfabrik werde schätzungsweise 10 000 Kubikmeter Wasser am Tag benötigen. Dabei werden die Sommer in der Region immer trockener; auch jetzt hat es seit Wochen kaum geregnet. »Dem müssen wir Rechnung tragen«, sagt Hönicke, bevor auch er gegen die Ansiedlung des Rüstungsunternehmens unterschreibt.

In der Landesregierung sorgen derlei Widerborstigkeit und die Beteiligung der Parteibasis eines Koalitionspartners für Ärger. »Man kann ja über Rüstungsindustrie streiten«, schrieb der SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig auf Twitter: »Aber wie fahrlässig hier auch in der CDU diskutiert wird, macht mich sprachlos.« Der CDU-Ministerpräsident wiederum betonte nach einem Treffen mit dem Großenhainer CDU-Oberbürgermeister und dem CDU-Landrat, dass man »die Sorgen der Menschen in der Region kenne und die Staatsregierung diese sehr ernst nehme«. Der Satz findet sich in einer Presseerklärung, die so weitschweifig wie vage formuliert ist und in der die Begriffe »Rheinmetall« oder »Pulverfabrik« nicht auftauchen.

Auch von einem Bürgerentscheid ist nicht die Rede. Einen solchen hatte Kretschmer zuvor bei einem Bürgerforum ins Spiel gebracht, das freilich nicht in Großenhain, sondern im 100 Kilometer entfernten Limbach-Oberfrohna stattfand. »Wenn die Bürger Nein sagen, wird das dort nicht stattfinden«, erklärte er. In Großenhain grübeln sie jetzt, wie das formal und rechtlich gehen soll: ein kommunaler Bürgerentscheid über die Nutzung einer Fläche, die dem Land gehört. Was inhaltlich dabei herauskommt – daran haben Kommunalpolitiker wie Kerstin Lauterbach freilich keinerlei Zweifel: »Die Leute hier wollen Rheinmetall nicht. Punkt.«

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