Kirgistan liefert linke Oppositionelle an Russland aus

Das zentralasiatische Land war beliebtes Ziel russischer Staatsbürger, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisieren

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.

Er war die dritte Person in Russland, die nach Beginn der »Spezialoperation« im Februar 2022 versucht hatte, ein Kreiswehramt anzuzünden: Alexei Roschkow, ein Anarchist aus der Nähe von Jekaterinburg, wurde erst des versuchten Mordes angeklagt, später ließ die Staatsanwaltschaft den Punkt fallen und wollte den heute 26-Jährigen für Sachbeschädigung verurteilt sehen. Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft reiste Roschkow nach Kirgistan aus.

Die zentralasiatische Republik erfreut sich großer Beliebtheit bei jenen, die Russland nach Kriegsbeginn schnell verlassen wollten. Die Einreise ist ohne Visum möglich; es gibt kaum Sprachbarrieren, da die Bevölkerung der großen Städte meist Russisch beherrscht; zudem gilt Kirgistan als am wenigsten autoritärer Staat in Zentralasien – freilich auch als der politisch instabilste.

Doch Ende Mai wurde Alexei Roschkow vom kirgisischen Inlandsgeheimdienst festgenommen und ausgeliefert an Russland, das ihn international zur Fahndung ausgeschrieben hatte. Inzwischen sitzt er wieder in Untersuchungshaft in Jekaterinburg.

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Sein Fall war erst der Beginn des neuen Kurses der kirgisischen Behörden gegenüber in Russland gesuchten Oppositionellen. Seit dem 2. Juni nutzt das Innenministerium ein neues Gesichtserkennungsprogramm für Überwachungskameras. Laut Medienberichten sollen kirgisische Sicherheitsorgane von den Kollegen aus Russland Informationen zu rund 85 000 gesuchten Personen erhalten haben.

Drohende Auslieferung an Russland

Darunter dürften sich mit Sicherheit auch politische Aktivisten befinden. In den ersten zehn Tagen wurden 57 Personen aus der gesamten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) festgenommen. Neben Roschkow befinden sich mindestens zwei weitere linke Aktivisten darunter.

So kam am 9. Juni Lew Skorjakin in Haft. Skorjakin ist Mitglied der 2015 gegründeten Organisation Linker Block (LB). Der LB, ursprünglich eine Abspaltung von Linke Front (LF) um den Stalinisten Sergei Udalzow, hatte den Anspruch, die radikale Linke strömungsübergreifend zu organisieren: Linkssozialisten, Trotzkisten, Anarchisten, Stalinisten. Gemeinsam war die Ablehnung von Udalzows Unterstützung der »Volksrepubliken« und des Anschlusses der Krim.

Inzwischen gibt es von LB kaum noch Lebenszeichen. Der 1999 geborene Skorjakin betrachtet sich als Anarchisten. Im Dezember 2021 entzündete er zusammen mit Ruslan Abasow vor einem Moskauer Büro des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Bengalisches Feuer und rollte ein Banner mit dem Slogan »Alles Gute zum Tag des Tschekisten« aus – eine Anspielung auf den Feiertag der Geheimdienstmitarbeiter am 20. Dezember. Wegen »Vandalismus« und »Hooligantum« blieben die beiden bis Juli 2022 in Untersuchungshaft. Nun droht Skorjakin die Auslieferung nach Russland, wo er schon seit Februar dieses Jahres steckbrieflich gesucht wird.

Repressionen gegen linke Aktivisten

Was mit Aljona Krylowa geschehen soll, deren Festnahme am 12. Juni gemeldet wurde, ist noch unklar. Bis zum 4. Juli bleibt die 31-jährige russische Staatsbürgerin erst mal in Haft, doch Russland möchte auch sie auf der Anklagebank sehen. Krylowa war in der Organisation »Für die Menschenrechte« aktiv: Die 1997 gegründete NGO kam bereits 2014 in das Register der »Ausländischen Agenten« und hat sich 2019 als »juristische Person aufgelöst«.

Doch die russischen Behörden werfen Krylowa vor, Mitglied der verbotenen Organisation Linker Widerstand gewesen zu sein. Die Gruppe, die sich – eher ungewöhnlich für die russische Linke – positiv auf regionale Autonomiebewegungen bezog, wurde noch 2021 mit Repressionen überzogen. Die Gründerin Darja Poljudowa wurde wegen der Gründung einer »extremistischen Gruppe« im Dezember 2021 zu neun Jahren Haft verurteilt. Es ist ihre dritte Freiheitsstrafe.

Kirgistan betont Neutralität

Skorjakin und Krylowa haben aus der Haft heraus politisches Asyl in Kirgistan beantragt. Das Land, in dem alle Demonstrationen und Kundgebungen mit Bezug zum Ukraine-Krieg seit April 2022 verboten sind, betont seine Neutralität. Der rechtsnationalistische Präsident Sadyr Dschaparow strebt zugleich die Erneuerung des Kooperationsabkommens mit den USA an, das von der Vorgängerregierung gekündigt wurde. Aktuell ist die Innenpolitik des Landes durch die Aufdeckung eines angeblichen Putschversuchs gegen Dschaparow geprägt. Repressionen drohen also nicht nur russischen Exil-Oppositionellen.

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