Die AfD profitiert vom Klassenkampf der Grünen

Olivier David analysiert den Aufstieg der AfD

  • Olivier David
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich habe mal Grün gewählt. Jetzt echt. Ich war 19 oder 20 Jahre alt, und stumpf, wie ich war, habe ich einfach meiner Mutter nachgewählt. Die Grünen hatten ihren Wahlkampf in Hamburg, wo ich zu der Zeit lebte, vor allem auf die Verhinderung des Kohlekraftwerks Moorburg aufgebaut. Das klang für jemanden wie mich, der sich zu der Zeit nicht viel mit Politik beschäftigte, gut. Die Grünen sagten: Mit uns kommt kein Kohlekraftwerk nach Hamburg. Ich glaubte ihnen.

Was nach der Wahl passierte, war das, was oft passiert, wenn die Grünen irgendwo Erfolge verzeichneten. Sie handelten eine Koalition als Juniorpartner aus, in diesem Fall in einem Bündnis mit der CDU. Den Sondierungsgesprächen folgten die mittlerweile traditionellen grünen Bauchschmerzen (Moorburg-Version): Die Grünen gingen kurz auf die Toilette, nanu, was klonkert denn da, ach es ist das Rückgrat, das im Porzellan gelandet ist. Moorburg kam, und ich ging – zumindest als Wähler. Nie wieder eine Partei zu wählen, die mit Bauchschmerzen die Herausgabe der NSU-Akten verweigert, das war meine Devise. Eine Partei, die Untersuchungsausschüsse forderte und dann jenes Parteimitglied absägte, das an der Forderung festhielt, wie jüngst in Hamburg geschehen.

Auch in der Ampel-Regierung sind die Grünen weiter fleißig dabei, sich Feinde zu machen. Laut Plänen der Koalition dürfen Vermieter*innen bei der Modernisierung von Heizungen bis zu acht Prozent der Kosten auf die Mieter umlegen. Das ist, man muss es so deutlich sagen, nichts anderes als Klassenkampf gegen weite Teile der Bevölkerung. Klar, dass die Grünen in Umfragen mal wieder unbeliebt sind.

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. David studiert in Hildesheim literarisches Schreiben. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.

Die AfD derweil hat es in der Wählergunst – im Durchschnitt der Umfrageinstitute – auf knappe 19 Prozent bundesweit gebracht. Seit dem Wochenende stellt die Partei in Thüringen sogar einen Landrat. Wie kann das gehen? Und was hat das, neben einer Kernwählerschaft der Partei von etwa zehn Prozent, auch mit dem Scheitern der Grünen in der Ampel zu tun? Mit dieser Frage hat sich der Soziologe Klaus Dörre beschäftigt.

Bei VW im hessischen Baunatal und bei Opel im thüringischen Eisenach haben Dörre und sein Team mehr als 100 Befragungen mit Arbeiter*innen durchgeführt. In einem Interview mit dem »Freitag« sagt Dörre: »Die Grünen gelten vielen Arbeitern als Hauptfeind. Sie und die Klimabewegung werden so wahrgenommen, dass sie Klimaschutz ohne soziale Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit buchstabieren.« Das hat verschiedene Gründe. Eine Transformation, die Klimakampf ohne soziale Abfederung betreibt, so wie die Parteien der Ampel es derzeit tun, wirkt hier wie ein politischer Brandbeschleuniger.

In einem Text für die »Blätter für deutsche und internationale Politik« schreibt Dörre: »In Gesellschaften, in denen der demokratische Klassenkampf öffentlich marginalisiert wird, kann sich der ökologische Gesellschaftskonflikt in einen Modus ideologischer Beherrschung verwandeln – und zwar gerade, wenn auch nicht nur, der ökonomisch Schwachen.« Man kann auch einfachere Worte für das selbe Phänomen benutzen: Dörre zufolge haben viele Arbeiter*innen keine Lust, für die grüne Transformation zu zahlen, die sie nicht verbockt haben. Denn der CO2-Fußabdruck der unteren 50 Prozent erreicht bereits jetzt die Pariser Klimaziele, während das wohlhabendste Prozent der Bevölkerung 26 Prozent mehr emittiert als noch vor 30 Jahren, wie Zahlen zeigen.

Nun ist es mitnichten so, dass Menschen, die mit der AfD liebäugeln, sie nur aus Protest wählen. Und dennoch verstärken die Grünen mit ihrer Politik des Nach-unten-Tretens eine Stimmung im Land, von der die AfD derzeit am meisten profitiert. Und damit auch eine Politik, die das Erreichen der Klimaziele unwahrscheinlich werden lässt.

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