- Berlin
- Rechtsextremismus an Schulen
Die Nazis müssen die Doofen sein
Lehrer sollen auf rassistische Vorfälle in Schulen sofort reagieren und den Opfern beistehen
Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) besucht am Dienstagmorgen ein Fest der Demokratie und Vielfalt an der Grund- und Oberschule »Mina Witkojc« in Burg/Spreewald. Dort hat er nach Angaben seines Ressorts in Gesprächen mit Lehrern sowie Eltern- und Schülervertretern alle Beteiligten bestärkt, »extremistischen Aussagen oder Symbolen in der Schule zu begegnen«.
Ende April hatten zwei Lehrkräfte schlimme Vorfälle an dieser Grund- und Oberschule öffentlich gemacht. Da habe ein Schüler einem Sportlehrer den Hitlergruß gezeigt, im Winter seien Hakenkreuze in den Schnee gezeichnet worden und Mitschüler mit Migrationshintergrund seien bedroht worden. Aber das ist kein Einzelfall. Denn später berichteten Pädagogen anderer Schulen, dass es bei ihnen genauso oder ähnlich zugehe.
Von Burg fährt Bildungsminister Freiberg nach Cottbus und eröffnet im dortigen Kongresszentrum ein Fachgespräch unter dem Motto »Extremismus an Schulen«. Mehr als 200 Lehrkräfte und weitere Interessierte hören ihm dort zu. Freiberg spricht von Vorfällen, »die aufgerüttelt haben«. Das Problem sei aber schon vorher bekannt gewesen. »Niemand redet das weg und das geht auch nicht so einfach weg.« Es sei ein Thema für die Schulen, aber kein Problem allein der Schulen. »Gesellschaftliche Entwicklungen wirken in die Schule hinein.«
Der Minister fordert die Lehrer auf, für die Grundwerte einzustehen. Sie sollten »sofort und unmittelbar« reagieren und den Opfern beistehen. »Scheuen Sie sich nicht zu handeln! Melden Sie Vorfälle! Holen Sie sich Hilfe!« Denn Unterstützung gebe es. Die Lehrer müssten zwar zuerst reagieren. »Wir können Ihnen das nicht abnehmen.« Aber die Pädagogen könnten und müssten das Problem nicht allein lösen. Freiberg nennt als kompetente Ansprechpartner die Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg«, das Demos-Institut für Gemeinwesenberatung und das Netzwerk »Schulen ohne Rassismus«.
Es brauche Sensibilität, demokratiefeindliche Tendenzen und Symbole genauso zu erkennen und dagegen einzuschreiten wie bei Gewalt, Mobbing und Missbrauch. Rassistische und homophobe Einstellungen seien nicht allein an den Rändern der Gesellschaft zu finden, sondern durchaus leider auch wieder in der Mitte der Gesellschaft.
Bei der Landtagswahl 2019 erhielt die AfD in Brandenburg 23,5 Prozent der Stimmen. In der Niederlausitz waren es in den einzelnen Wahlkreisen durchweg noch größere Stimmenanteile, in der Spitze bis zu 36 Prozent. 2855 Personen in ganz Brandenburg rechnet der Verfassungsschutz dem rechten Spektrum zu. Davon seien 820 Mitglieder der AfD oder ihrer Jugendorganisation Junge Alternative, erläutert Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller beim Fachgespräch im Kongresszentrum. »Die AfD hat natürlich mehr Mitglieder. Wir zählen nicht jedes AfD-Mitglied als Extremisten.«
Müller hat vier Kinder. Er weiß so ungefähr, was sich an den Schulen des Landes abspielt. »Rechtsextrem sein ist heute bei einigen Schülern wieder in«, bedauert er. Wie damit umgehen? »Am Ende dürfen die Rechten nicht die Coolen an der Schule sein, sie müssen die Doofen sein«, findet der Geheimdienstler.
Hakenkreuzschmierereien und Naziparolen seien keine Bagatellen, sagt Müller. Er mahnt: »Wegschauen, nicht ansprechen, ignorieren hat noch nie ein Problem gelöst.« Gerade die Verharmlosung des Rechtsextremismus sei derzeit eine der größten Gefahren für die Demokratie. Worauf Männer und Frauen wie die AfD-Landtagsabgeordneten Birgit Bessin und Lars Schieske abzielen, führt Müller an Beispielen vor. Über Bessin sagt er: »Für mich ist sie die Statthalterin des Rechtsextremisten Andreas Kalbitz. Beide geben sich keine Mühe, das zu verstecken.«
Was Schieske betrifft, so lässt der Verfassungsschützer ein Video einspielen. Der Abgeordnete zitiert da öffentlich und drohend angeblich den Dichter Theodor Körner (1791-1813). Dieser soll formuliert haben: »Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten. Vom Feinde bezahlt, dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk. Dann Gnade Euch Gott!« Doch Müller kann dem Landtagsabgeordneten vor den im Kongresszentrum versammelten Lehrern Nachhilfe erteilen: Die Zeilen stammten nicht von Körner, sondern von der Holocaustleugnerin Renate Schütte, die Adolf Hitler verherrlichte.
Wie Brandenburgs Jugend tickt, darüber kann im Kongresszentrum Professor Dietmar Sturzbecher Auskunft geben. Sein Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung befragt alle paar Jahre zwischen 3000 bis 4500 Schüler in allen Teilen des Bundeslandes. Seit 1991 wird das gemacht. »Wir haben eine lückenlose Zeitreihenstudie zur Befindlichkeit der Jugend in Brandenburg«, rühmt Sturzbecher.
Im vergangenen Jahr stimmten 18,4 Prozent der Befragten mehr oder weniger der Aussage zu, dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten gehabt habe, 5,6 Prozent waren sogar voll und ganz dieser Meinung. 14,4 Prozent meinten, in den Berichten über die Konzentrationslager und die Verfolgung der Juden sei wahrscheinlich viel übertrieben und 4,6 Prozent waren sich da ganz sicher.
Bis 2017 habe die in den Befragungen festgestellte Anfälligkeit für rechtsextreme Einstellungen stetig abgenommen und sei dann wieder sprunghaft gestiegen, erläutert Sturzbecher. Er erklärt: »Die Jugendlichen, die denken, dass sie alles können, aber nichts dürfen, sind extrem anfällig für den Rechtsextremismus.« 1991 habe sich noch die Hälfte der Jugendlichen nicht offensiv gegen Rechtsextremismus ausgesprochen.
Brandenburgs Kinder- und Jugendbeauftragte Katrin Krumrey kann den vorgestellten Zahlen etwas Gutes abgewinnen. Denn die Befragung 2022 sei in einem schwierigen Umfeld erfolgt. Die Coronakrise ging gerade vorüber und die Jugendlichen durften langsam wieder normal die Schule besuchen, da griff Russland die Ukraine an und mit dem Krieg kam die Energiekrise und die Angst, dass die Eltern die Rechnungen nicht mehr bezahlen können und die Wohnung im Winter kalt bleibt. Trotz dieser Krisen stellt Krumrey fest: »Der Extremismus hat nicht zugenommen.« Das bedeutet für sie schon einen Erfolg. Ohne die Krisen hätten die rechtsextremen Ansichten vielleicht deutlich abgenommen, mutmaßt die Beauftragte. »Wir wären vielleicht schon weiter.«
Sturzbecher kann bestätigen, dass Bildung hilft. So neigen den Erkenntnissen zufolge jüngere Jugendliche eher zum Rechtsextremismus als ältere Jugendliche, die schon länger die Schule besuchen. Auch weichen die Ergebnisse zwischen Schulen in gleichen Regionen, also mit gleichen Lebensbedingungen, teils sehr deutlich voneinander ab. Eine gut funktionierende Schule könne also offenbar Schüler zur Demokratie erziehen.
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