Verfassungsschutzbericht: Weniger Linksradikale, mehr Nazis

Unter Beobachtung: Berlin stellt neuen Verfassungsschutzbericht vor

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Fokus des Verfassungsschutzberichts des Landes Berlin für das Jahr 2022 steht der russische Überfall auf die Ukraine. »Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte direkte Auswirkungen auf die innere Sicherheit in Berlin«, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Dienstag auf der Senatspressekonferenz im Roten Rathaus.

Vor allem die rechtsextreme und die »Reichsbürger«-Szene hätten prorussische Narrative aufgenommen und versucht, »Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um sie für die eigene verfassungsfeindliche Agenda zu vereinnahmen«, führte Spranger aus. Den Linksradikalen sei es hingegen nicht gelungen, eine einheitliche Position zum Krieg zu entwickeln, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht.

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Um bei seiner Informationsbeschaffung wirklich keine Gelegenheit zu verpassen, hat der Verfassungsschutz sogar ein »vertrauliches Telefon« eingerichtet und auf seiner Website beworben. »Hinweise zu extremistischen Bestrebungen nehmen wir unter den unten aufgeführten Kontaktmöglichkeiten entgegen«, heißt es dort. Wer Indizien dafür habe, dass der Arbeitskollege ein zentraler Akteur des organisierten Linksextremismus, die kleine Schwester eine gewaltorientierte Salafistin oder der ehemalige Grundschulfreund ein bewaffneter Reichsbürger mit Umsturzfantasien sei, könne dort anrufen – auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch.

In welchen Bereichen der Nachrichtendienst die Hauptbedrohungen wahrnimmt, wird anhand der angebotenen Sprachen und des Berichts klar: aus dem Rechtsextremismus, der »Reichsbürger«-Szene, der linken Szene und dem Islamismus. Für Berlin beziffert der Verfassungsschutz in seinem Bericht die Lage wie folgt: 2270 Menschen in Berlin werden als Islamisten eingestuft, 350 davon als gewaltbereite Salafisten, eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islam, ein leichter Anstieg um zehn Menschen verglichen mit dem Berichtsjahr 2021.

Zu den Rechtsextremen zählen 1450 Menschen, davon gelten 770 als gewaltbereit. Zentraler Akteur in Berlin ist dem Amt zufolge die neonazistische Partei »Der III. Weg«, durch deren Mitgliederzuwachs sich auch der gewaltorientierte Teil der Szene vergrößerte. Der Verfassungsschutz beobachtet zudem den Bereich »Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden«: 2022 wurden der Polizei Berlin 110 neue Prüf- und Verdachtsfälle bekannt, bei denen ein politisch motiviertes Fehlverhalten vermutet wurde.

Die Gruppe der »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« wird auf 700 Menschen geschätzt. Die größte Gruppe, 3700 Menschen, stuft der Geheimdienst als »linksextremistisch« ein, 850 davon mit der Bereitschaft, Gewalt auszuüben, rund 100 weniger als 2021. »Wir sprechen hier von Personenpotenzialen. Was wir angeben, sind nicht Einzelpersonen, die wir auch genau namentlich benennen können, sondern es ist ein Potenzial, das erreichbar ist für die jeweilige verfassungsfeindliche Bestrebung«, ordnete Michael Fischer, Chef des Berliner Verfassungsschutzes, die Zahlen ein.

Dass das Personenpotenzial in der linken Szene abgenommen habe, sei »neben dem Verlust verschiedenster Szene- und Treffpunkte in den vergangenen Jahren« auf eine »grundsätzliche Vernetzungs- und Rekrutierungsschwäche des autonomen und postautonomen Spektrums« zurückzuführen, sagte Innensenatorin Spranger und warnte zugleich: »Wir wissen um die anhaltende Gewaltbereitschaft von Teilen dieser Szene. Der Verfassungsschutz wird auch in der Aufklärung des Linksextremismus nicht nachlassen.«

Mächtig zu tun habe der Verfassungsschutz auch mit der gestiegenen Bedrohung durch russische Spionageaktivitäten. »Die Gefahr nachrichtendienstlicher Aktivitäten Russlands gegen politische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Organisationen zeigt sich im Berichtsjahr spürbar erhöht«, sagte Spranger und festigte sogleich die Rolle des Berliner Geheimdienstes: »Um diesen Aktivitäten entgegenzutreten, werden wir auf einen starken Verfassungsschutz angewiesen sein.« Wer einen russischen Spionageballon am Himmel der Hauptstadt entdeckt, weiß ja, wohin er sich wenden kann: an das »vertrauliche Telefon« des Berliner Verfassungsschutzes.

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