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»Before, Now & Then«: Geheimnisvolle Haarknoten
Das indonesische Drama der Regisseurin Kamila Andini erzählt von Überlebensstrategien einer Frau in einer patriarchalischen Welt
Er soll ein Kommunist sein? Unmöglich, er ist doch so ein feiner Kerl!» Im Klatsch und Tratsch der feinen Gesellschaft, die in der Villa von Nanas zweitem Ehemann verkehrt, wird es an dieser Stelle ein einziges Mal explizit politisch. Der antikommunistische Putsch mit anschließenden Massenmorden im Indonesien der 60er Jahre, bei dem Nana ihren ersten Mann, ihren Vater und ihr Kind verliert, schwingt als Hintergrund im indonesischen Spielfilm «Before, Now & Then» stets mit, kommt aber nie direkt zur Sprache.
Ein kurzer Prolog aus dem «Before» zeigt Nanas panische Flucht, und unvermittelt eingestreute Albtraumsequenzen und Flashbacks unterbrechen die Handlung im «Now». Das ist konsequent, denn so wie dieser Teil der indonesischen Geschichte nicht aufgearbeitet ist (Joshua Oppenheimers schockierende Dokumentarfilme erzählen davon), ist Politik in dieser immer noch «sehr patriarchalischen Welt», wie Regisseurin Kamila Andini sagt, für Frauen tabu – erst recht für Frauen wie Nana, die in die Ehe mit einem Großgrundbesitzer flüchtete, um einer Zwangsheirat mit einem Anführer der Mörder ihres Vaters zu entgehen.
Während der «unseren Müttern und Ahninnen von den Sundainseln» gewidmete und in sundanesischer Sprache gedrehte Film nicht zuletzt wegen der Zensur in ihrem Land einiges an Wissen zum historischen und politischen Hintergrund voraussetzt, verpackt die indonesische Regisseurin bisweilen Informationen zu Nanas persönlicher Vorgeschichte etwas zu direkt in Dialoge. Etwa wenn Nana zu ihrem zweiten Mann sagt: «Du hast mich gerettet. Wir sind jetzt fünf Jahre verheiratet.»
Nana führt die Farmgeschäfte und leitet Bedienstete an, dennoch scheint er sie vor allem als Bestandteil der ästhetisch ansprechenden Dekoration wahrzunehmen, für die sie im Haushalt sorgt und mit der die wohlkomponierten Bilder in gedeckten Farben der kaum beweglichen Kamera korrespondieren.
Melancholische Streichmusik, die viele Filmkritiker*innen an die Stimmung aus Wong Kar-wais «In the Mood for Love» denken lässt, deutet neben Nanas stoischer Miene darauf hin, dass sich hinter der sichtbaren Ordnung unterdrückte Bedürfnisse und Gefühle, Unruhe und Unglück verbergen. Die Nachbarinnen kontrollieren sich gegenseitig und achten auch auf die Aufzucht des Nachwuchses, die weitgehend an Angestellte oder Pflegemütter ausgelagert ist: «Eine Frau aus gutem Hause bringt artige Kinder zur Welt.»
Ihre Geheimnisse bewahrten die Frauen in ihren Haarknoten, verrät Nana in einem der seltenen vertraulichen Momente ihrer Tochter. In langen sinnlichen Sequenzen, die für den Internettrend der meditativ-entspannenden ASMR-Videos zweckentfremdet werden könnten, sieht man Nana langsam ihre Haare bürsten oder die ihres Gatten färben. Nanas Überlebensstrategie, die mitanzusehen wehtut: «Ich bin geschmeidig wie Wasser, ich passe mich an.» Erst im «Then», einem kurzen Epilog, wird Nana ihre Haare offen tragen.
Nanas Ausweg aus dem goldenen Käfig orientiert sich an der Biografie der Mutter von Jais Darga, der ausführenden Produzentin des Films. Während sie zunächst still darunter leidet, dass ihr reicher Gatte eine Geliebte hat, verbündet sich Nana schließlich mit dieser. «Sie sind beide Opfer der Situation und der Zeit, aber die Gesellschaft der anderen ist das, was sie brauchen, um dieses Gefühl der Stärke und Befreiung zu gewinnen», erläutert Andini. «Diese Art von Stärke … muss von einer anderen Frau kommen.» Es ist befreiend zu sehen, wie Nana beim gemeinsamen Bad im Fluss aus ihrer zurückgenommenen Rolle fällt. Ihr Heil und ihre Zukunft findet sie dann allerdings, mit dem Segen des Großgrundbesitzers, im Wiedersehen mit ihrem verschollen geglaubten ersten Mann. Es ist noch ein weiter Weg für die Frauen in Indonesien.
«Before, Now & Then», Indonesien 2022. Regie: Kamila Andini. Mit: Happy Salma, Laura Basuki, Arswendy Bening Swara, Ibnu Jamil. 103 Min. Start: 29. Juni.
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