Union für Obdachlosenrechte: »Wir lassen uns nicht ignorieren«

Die Union für Obdachlosenrechte lebt von der Diversität der unterschiedlichen Lebenssituationen

Die Union für Obdachlosenrechte bei der Kundgebung »Wohnungen statt Heime« im Februar.
Die Union für Obdachlosenrechte bei der Kundgebung »Wohnungen statt Heime« im Februar.

Die Sonne strahlt vom Himmel hinab und die Sitzbänke im schönen Garten im Kreuzberger Nachbarschaftshaus Urbanstraße kleben von Blattlaussekret. Hier trifft sich alle zwei Wochen die Union für Obdachlosenrechte (Ufo) Berlin – eine Gruppe, die sich zu Anfang des Jahres gebildet hat und inzwischen stark zusammengewachsen ist. Das zeigt sich augenblicklich im Gespräch mit einigen der dort organisierten Menschen: Sie freuen sich sichtbar, als sie sich sehen, umarmen sich und plaudern angeregt miteinander.

»Wir haben Vertrauen zueinander aufgebaut. Wir halten zusammen und wir fangen uns gegenseitig auf, wenn etwas ist«, sagt Uwe Mehrtens. Der 59-Jährige wurde nach der Trennung von seinem Ehemann 2018 obdachlos, ist aus Norddeutschland nach Berlin gezogen und wurde dort zwei Jahre später nach einer weiteren Trennung erneut wohnungslos bis zum Herbst letzten Jahres, so erzählt er.

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Der Frührentner hat die späteren Mitinitiator*innen von Ufo durch die sogenannte Nacht der Solidarität kennengelernt, die umstrittenen Zählung von auf der Straße nächtigenden Menschen in Berlin. Denn im Nachgang dieser Zählung hat sich Projekt »Zeit der Solidarität« entwickelt, welches im Jahr 2022 statt einer Zählung eine umfangreiche Befragung zum Thema Obdachlosigkeit mit betroffenen Menschen durchgeführt hat. »Da bin ich dann dazugestoßen, weil es auch um obdachlose Jugendliche ging, und mir das Thema sehr wichtig ist«, sagt Mehrtens. Aus den Organisator*innen und Mithelfenden der Befragung hat sich schließlich eine feste Gruppe gebildet: die Union für Obdachlosenrechte. »Mir liegt das sehr am Herzen, dass wir die Gruppe richtig zum Laufen bringen.«

Auch Anna Polubok setzt sich dafür ein, ihre Gruppe bekannter zu machen. Die 57-jährige Polin ist im Januar dazugestoßen, nachdem der Kontakt von einer Sozialarbeiterin am Ostbahnhof vermittelt wurde. Sechs Jahre lang lebte Polubok in Obdachlosigkeit. »Ich kenne viele Obdachlose aus Polen, die hier auf der Straße leben. Die will ich motivieren dazuzukommen, und verteile Flugblätter«, sagt sie. Aktuell hat Polubok zwar eine eigene Wohnung, aber das Geld fehlt für alles andere. »Ich brauche ganz dringend eine Arbeit, weil ich aktuell kein Geld zum Leben habe.«

Polubok hat in Berlin mit Sprachbarrieren zu kämpfen, weil sie hauptsächlich Polnisch spricht und es ihr schwerfällt, sich auf Deutsch zu verständigen. Sie beschreibt sich selbst als eine verschlossene Person. »Ich fange jetzt aber langsam an, mich zu öffnen gegenüber den anderen. Ich mag die Gruppe sehr gerne«, sagt sie. »Und wir mögen Anna!« So reagiert Susanne Hinneberg prompt auf die Worte ihrer Mitstreiterin.

Die 66-jährige Hinneberg ist seit einer Zwangsräumung vor über drei Jahren wohnungslos und lebt seitdem in einer sogenannten Asog-Einrichtung. Asog steht für das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, welches eine rechtliche Grundlage für die Unterbringung wohnungsloser Menschen ist. »Anfangs bin ich meinem bekannten Umfeld aus dem Weg gegangen, um nicht auf Fragen zu meiner Situation antworten zu müssen.«

Inzwischen aber gehe sie offensiv damit um und erzähle den alten Bekannten von ihrem Leben, sagt Hinneberg. Das komme auch gut an. »Ich entspreche nicht den Vorurteilen. Ich habe ein gepflegtes Erscheinungsbild, ich habe kein Alkohol- oder Drogenproblem.« Deshalb werde sie nicht einsortiert in den Kreis von Wohnungslosen. »Das ist meine geheime Kraft, damit schlage ich alle«, sagt Hinneberg frech grinsend.

Hinneberg ist bei Ufo gelandet, weil sie sich als Freiwillige bei »Zeit der Solidarität« gemeldet hat, um 2022 bei den Gesprächen mit Obdach- und Wohnungslosen mitzuhelfen. »Ich bin selbst betroffen und habe deshalb einen besseren Zugang«, sagt sie. Ihr war es besonders wichtig, auch Frauen zu erreichen, die auf der Straße oder in Notunterkünften leben. »Frauen bleiben aus Sicherheitsgründen oft lieber unsichtbar.«

Die 66-Jährige hat es sich auf die Fahne geschrieben, die Wohlhabenden der Mehrheitsgesellschaft für die Probleme von obdachlosen und wohnungslosen Menschen zu sensibilisieren. »Es gibt uns, wir lassen uns nicht ignorieren und wir entsprechen nicht alle dem vorherrschenden Bild.« Ufo lebe von der Diversität ihrer Mitglieder, den verschiedenen Lebenslagen und den verschiedenen Positionen zu strittigen Fragen. »Wir vertreten als Betroffene unsere eigenen Ansprüche und unterschiedliche Bedürfnisse.«

Gemeinsam mit Susanne Hinneberg und Uwe Mehrtens hat Dietlind Schmidt die Gründung der Gruppe initiiert. Für sie ist es wichtig, ihre eigenen Bedürfnisse selbst vertreten zu können, zum Beispiel als »Zeit der Solidarität« im Februar ein Podiumsgespräch zum Thema Obdachlosenfeindlichkeit organisiert hatte. »Es hat mir gut gefallen, auf dem Podium zu sitzen und zu erzählen, wie es wirklich auf der Straße ist.«

Schmidt ist 1999 nach einer schlimmen Scheidung obdachlos geworden und musste miterleben, dass ihre jüngste Tochter nur 17 Jahre alt wurde, erzählt sie. »Seitdem setze ich mich für Menschenrechte ein. Zu Ufo bin ich über meine Beschwerdetätigkeit gekommen.« Denn Schmidt hat es sich zur Aufgabe gemacht, konsequent Beschwerden an die entsprechenden Stellen zu schreiben, wenn sie unwürdig behandelt oder ihre Rechte verletzt werden. »Es fehlt ganz dringend eine unabhängige Beschwerdestelle, gerade für Menschen, die in Notunterkünften wohnen.«

Das große Ziel von Ufo sei die Abschaffung von Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, sagt sie. Bis dahin möchte man einige unmittelbare Verbesserungen erzielen. Neben einer Beschwerdestelle fordert Ufo beispielsweise kostenlose Toiletten und ein kostenloses Notruftelefon, welches unterschiedliche Hilfestellen koordiniert.

»Wir machen richtig Programm. Wir stellen uns bei Politiker*innen vor, wir vernetzen uns mit anderen Initiativen, wir organisieren Aktionen«, sagt Susanne Hinneberg. Unterstützt wird die Gruppe vom Projekt »Zeit der Solidarität«, das beim Berliner Landesverband für sozial-kulturelle Arbeit angesiedelt ist. Das Projekt stellt Infrastruktur zur Verfügung und übernimmt viel organisatorische Arbeit, sagt Hinneberg.

Die Arbeit von Ufo trägt bereits Früchte: So wurde sich mit der Kältehilfe-Koordination darauf geeinigt, dass die Berliner Register als sowieso schon existierende unabhängige Beschwerdestellen in Zukunft mit der Kältehilfe zusammenarbeiten, um Beschwerden aufzunehmen und auszuwerten.

Außerdem schaltete sich Ufo kürzlich in die Debatte um einen »Leitfaden Obdachlosigkeit« des Bezirks Neukölln ein, der Sperrzonen für draußen schlafende Menschen festlegte. Vertreter*innen der Gruppe nahmen Anfang Juni an einer Sitzung des bezirklichen Sozialausschusses teil. Nun komme es zur Überarbeitung des Leitfadens unter Mitarbeit von Ufo, sagt Schmidt. »Obdachlose sind politisch aktiv, aber uns werden Menschenrechte und Mitspracherechte abgesprochen«, bedauert sie.

Ufo arbeitet auch an einem besseren gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Obdach- und Wohnungslosen. »Es muss in der Gesellschaft ankommen, dass sie Menschen nicht immer nur wegschieben können von einem Ort zum anderen, sondern dass man sie so unterstützen muss, dass sie ihren eigenen Platz finden können«, sagt Schmidt. Auch Hinneberg kritisiert den Umgang mit Menschen in ihrer Situation: »Es ist unanständig, Menschen wie Ware hin- und herzuschieben. Das gehört sich einfach nicht.«

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