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Rechtstrend in Europa: Alarmruf aus Wien
Europas Linke schieben den EU-Wahlkampf an – und warnen vor der Gefahr von rechts
Es mag Zufall gewesen sein, dass die Partei der Europäischen Linken (EL) an jenem Wochenende in Wien tagte, an dem in Deutschland der erste Landrat der AfD gewählt wurde. Kein Zufall ist es, dass praktisch überall in der EU Rechtsaußenparteien auf dem Vormarsch sind – oder gar schon an der Macht: Die deutsche AfD eilt von einem Umfragehoch zum nächsten, in Italien regiert eine Postfaschistin, Frankreichs rechte Galionsfigur Marine Le Pen brachte es bis in die Stichwahl ums Präsidentenamt, in Finnland sitzen seit kurzem Ultrarechte mit am Kabinettstisch und im Griechenland zogen vor einer guten Woche gleich drei solcher Parteien ins Parlament ein. »Die Partei der Europäischen Linken schlägt Alarm«, heißt es angesichts dieser Entwicklung in einem Aufruf, den die EL-Generalversammlung verabschiedete. Das Gremium ist die zweithöchste Beratungsinstanz der Europalinken zwischen den Parteikongressen.
»Heute dominieren in Europa reaktionäre, autoritäre, patriarchalische und individualistische Werte, die den Aufstieg der extremen Rechte begünstigen«, analysiert das Papier. Die Linke habe darauf noch keine adäquate Antwort gefunden. Allerdings formiere sich mit den Bewegungen für Klimaschutz, für Gleichberechtigung und gegen eine Austeritätspolitik mit ihren tiefen Schnitten ins soziale Netz eine »beeindruckende Massenbewegung«. Die Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 würden so zur »ersten europaweiten politischen Konfrontation beider Tendenzen«.
Dieser Konfrontation will sich die EL stellen. Voraussetzung dafür ist, dass die über 40 sehr heterogenen Mitglieds-, Beobachter- und Partnerparteien an einem Strang ziehen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall; manche Zwistigkeit um den richtigen Kurs brachte das Bündnis an die Zerreißprobe. Nicht ohne Grund trägt die jüngste Erklärung aus Wien die Überschrift »Einheit macht uns stärker«. In den letzten Monaten rankten sich die Konflikte vor allem um den russischen Krieg in der Ukraine – und um dessen Folgen: Während einige Parteien in Südeuropa der Nato eine klare Mitschuld am Kriegsbeginn geben, betrachten gerade skandinavische Linke das Militärbündnis durchaus als Sicherheitsgaranten für ihre Länder. Das spiegelt sich auch in der Erklärung: »Trotz aller Differenzen in der Beurteilung des Konflikts, die wir nicht ignorieren wollen, sind wir die Partei des Friedens. Wir fordern eine Einstellung der Feindseligkeiten, die Aufnahme von Verhandlungen und den Abzug der russischen Truppen. Wir sind davon überzeugt, dass der Frieden in Europa weder durch die Erweiterung der Nato noch durch verstärkte Aufrüstung und Atomwaffen gesichert werden kann«, heißt es darin. Die Einigkeit betont auch EL-Präsident Walter Baier gegenüber »nd": Wir sind uns unserer Vielfalt durchaus bewusst und respektieren sie. Aber es gibt viel mehr, was uns verbindet als uns trennt.« Diese Erkenntnis hat sich offensichtlich auch in den nationalen Parteien durchgesetzt. Sichtbarstes Ergebnis ist vielleicht, dass erstmals die vom charismatischen französischen Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon geprägte Partei La France Insoumise an einer Generalversammlung teilgenommen hat.
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Inzwischen hat die EL die Ausarbeitung ihres Wahlprogramms – eines kurzen, aber prägnanten, wie Baier sagt – fortgesetzt. Die Grundlage dafür hatte der Parteikongress im vergangenen Dezember in Wien gelegt und den Fokus insbesondere auf soziale Fragen, eine umfassende sozial-ökologische Transformation, Schutz der Demokratie und den Kampf gegen rechts gerichtet. Nun folgte mit der Präsentation von sieben sogenannten Clustern der nächste Schritt. Praktisch geht es darum, in spezifischen Arbeitsgruppen solche Themen wie Kampf gegen Sozialabbau, Klimawandel und Rechtswende, für Feminismus, Arbeitsrechte, Frieden und eine gerechtere Weltordnung wahlkampfgerecht aufzubereiten. Dazu soll auch die alljährlich stattfindende Sommeruniversität der EL genutzt werden – die aktuelle beginnt Ende dieser Woche im slowenischen Ljubljana.
Dass die EL mit ihrer Themensetzung richtig liegt, hatte erst kürzlich die linke Denkfabrik Transform!Europe bestätigt. So würden sich laut einer Transform-Erhebung 93 Prozent der Menschen Sorgen über die steigenden Lebenshaltungskosten machen, 82 Prozent über Armut und jeweils 81 Prozent über den Klimawandel und die Ausbreitung des Ukraine-Krieges. »Die Daten zeigen, dass heute, anders als bei den Wahlen 2019, Themen die öffentliche Wahrnehmung dominieren, die unseren politischen Prioritäten entsprechen«, so EL-Präsident Baier.
Mit diesen Themen dürfte die EL auch bei den deutschen Wähler*innen punkten. Das Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat gerade eine Studie zu Erwartungen, Einstellungen und Präferenzen im Wähler*innenpotenzial der deutschen Linkspartei im Hinblick auf die Europawahl 2024 vorgelegt. »Es hat sich gezeigt, dass Maßnahmen zur Verringerung der Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland potenzielle Wähler*innen der Partei Die Linke, übrigens quer durch alle Einkommens- und Altersklassen, auffällig häufig als eher wichtig oder sehr wichtig eingeschätzt werden«, erklärt Referatsleiterin Johanna Bussemer. »Auch solche Themen wie Umwelt- und Klimaschutzpolitik, Energiewende und Flüchtlingspolitik werden als wichtig eingeschätzt.« Was Bussemer auch betont: Gerade potenzielle junge Linke-Wähler*innen würden es begrüßen, wenn mehr Rechte von nationalen Parlamenten ins EU-Parlament übertragen würden.
Im September soll der erste Entwurf der Wahlplattform der EL, in den die Ergebnisse der Cluster einfließen sollen, intern diskutiert werden. Offen bleibt indes, mit welchen Spitzenkandidat*innen Europas Linke in den EU-Wahlkampf ziehen werden. 2014 ist der seinerzeit auf einer Sympathiewelle reitende griechische Syriza-Chef Alexis Tsipras für die EL ins Rennen gegangen, 2019 waren es die jenseits ihrer Herkunftsländer eher unbekannten Violeta Tomic aus Slowenien und der belgische Gewerkschafter Nico Cue. Zu möglichen Kandidat*innen für 2024 möchte sich niemand aus der EL-Führungsriege äußern. Baier lässt zumindest durchblicken, dass es Personen sein sollen, die »am besten in der Lage sind, die gesamte Linke zu vertreten und die Linke bei der Wahl zu vereinen« – sprich Kandidat*innen, die über die EL hinaus wirken. Präsentiert werden sollen die Personalvorschläge im Februar kommenden Jahres – gemeinsam mit der Wahlplattform.
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