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US-Gefängnisse werden zu Hitzefallen
Steigende Temperaturen im US-Bundesstaat Texas verursachen unerträgliche Bedingungen
In der Hitzewelle dieses Sommers kollabierten etliche Häftlinge im US-Bundesstaat Texas. Auch von Todesfällen wurde berichtet. Offizielle Statistiken über solche Vorfälle führt Texas nicht. 70 Prozent der Gefängnisse haben keine Klimaanlage. Insassen helfen sich häufig mit kleinen Ventilatoren selbst oder fluten die Böden ihrer Zellen und legen sich auf den nassen Beton. Als Temperaturen von 43 Grad Celsius in den Juniwochen tagelang anhielten, fielen reihenweise Häftlinge in Ohnmacht. Gefährlich ist bei solchen Temperaturen die hohe Luftfeuchtigkeit des amerikanischen Südens. Aber es ist die dort vorherrschende Ideologie, die das Leben in den Gefängnissen unerträglich macht.
Der »New York Times« erzählte der 36-jährige Insasse Joseph Martire, dass es Momente gegeben habe, in denen er nicht gewusst habe, ob er in seinem Gefängnis in der Nähe von Houston überleben würde. Er habe seine 16-jährige Strafe wegen Einbruchs fast abgesessen. Doch er wisse nicht, ob er bis zu seiner Entlassung durchhalte. Vor kurzem sei er aufgewacht, als Wärter mit ihren Fingern auf Stellen um seine Augen gedrückt hätten, um zu prüfen, ob er noch lebe. Erst dann sei Martire in eine klimatisierte Klinik auf dem Gefängnisgelände gebracht worden. »Da war ich für zwei Stunden, erhielt Eiswasser, Salzwasser, sie haben meine Temperatur gemessen.« Er berichtete, dass zwei Männer in ähnlichem Zustand neben ihm gelegen hätten.
Im Juni starben 32 Häftlinge in Texas. Aber eine Statistik über Hitzetote führt die Justizverwaltung nicht. Das letzte Mal wurde im Jahr 2012 offiziell von einem solchen Fall berichtet. Aktivisten erheben eigene Zahlen und vermuten etwa zehn Sterbefälle im Jahr wegen Hitze. Immerhin werden die Fälle von medizinischer Versorgung wegen Hitzekollapses offengelegt, angeblich gab es fünf davon im Juni. Die Maßnahmen für besonders gefährdete Gefangene werden eher lokal von Gefängnisdirektoren organisiert, finanziert und, wie im Falle von Martire, den Betroffenen individuell zugestanden. In Texas gibt es 98 Gefängnisse mit rund 122 000 Häftlingen. 31 Gefängnisse sind bereits klimatisiert, 14 besitzen keinerlei Kühlsysteme. In der Sprache der Bürokraten redet man von 43 000 »kühlen Betten«; etwa 80 000 Betten sind ungekühlt. Die Gefängnisbehörde erwartet, dass eine durchgehende Klimatisierung eine Milliarde US-Dollar kosten würde. Zum Vergleich: Einer Studie der Texas A&M University zufolge benutzen 87 Prozent der US-Haushalte Klimaanlagen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Obwohl die Insassen sich selbst nicht helfen können, werden nur wenige Maßnahmen ergriffen. Stattdessen streitet die Politik darüber, ob überhaupt Gelder für Hilfe freigegeben werden sollen. Zwar hat das Abgeordnetenhaus in Austin dafür gestimmt, Maßnahmen mit 545 Millionen Dollar zu finanzieren, damit die Mehrheit der Anstalten klimatisiert werden kann. Auch wollten die Gesetzgeber der unteren Kammer die Temperaturen in den Anstalten gesetzlich regeln: Sie sollten zwischen 18 und 29 Grad liegen. Doch der Senat von Texas zog nicht mit, trotz deutlicher Überschüsse im Haushalt: Sträflinge seien zur Strafe verurteilt. Es sei nicht Aufgabe des Staates, das Leben im Gefängnis schöner oder leichter zu machen.
Der Demokrat Terry Canales aus Südtexas erklärt die Weigerung mit der hinsichtlich der Verbrechensbekämpfung festgefahrenen Ideologie des konservativen Mehrheitsführers im Senat, Dan Patrick. »Das Narrativ kommt aus den 80er Jahren«, sagte Canales der »New York Times«: Klimatisierung, das klinge nach einem weichen Kurs gegen Verbrecher.
Viele Häftlinge beschreiben einen täglichen Kampf gegen die Hitze. »Man down« lautet der Ruf im Gefängnis in Huntsville, wenn jemand in Ohnmacht fällt. Angehörige berichten von Häftlingen in Zentral-Texas, die sich wie in einem »Hühnerstall ohne Schatten« fühlen. Amite Dominick, Gründer der Gruppe »Texas Prisons Community Advocates«, arbeitete im Jahr 2022 an einer Studie über Hitzetote im Gefängnis mit. Diese berichtet in einem Fall von einer Temperatur von 65 Grad. Auch Gefängnismitarbeiter wurden wohl aufgrund von Hitzekollaps ins Krankenhaus gebracht. Die Gewerkschaften der Wärter berichten von vielen Kündigungen aufgrund der Bedingungen; die knappe Besetzung erschwert die Betreuung der Häftlinge zusätzlich.
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