Palästina: Aufräumen nach den Zerstörungen

Israelische Soldaten nehmen Hunderte Gefangene aus Dschenin mit und hinterlassen eine verwüstete Stadt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Für das israelische Verteidigungsministerium und die Regierung war die Militäroperation ein voller Erfolg: Man habe Tausende Waffen beschlagnahmt, außerdem Material für den Bombenbau. 300 Personen seien festgenommen worden, heißt es in den offiziellen Stellungnahmen. Zwölf Palästinenser*innen und ein israelischer Soldat kamen ums Leben.

In Dschenin haben die Menschen derweil begonnen aufzuräumen. Vor allem die Bulldozer, die das israelische Militär eingesetzt hat, um Sprengfallen beiseite zu räumen, haben schwere Schäden an Straßen und Gebäuden angerichtet. Die Raketen, die während der Operation auf Gebäude abgefeuert wurden, haben ihr Übriges getan.

Wer die Reparaturen bezahlen soll, ist nach Ansicht der israelischen Regierung ganz klar: die Palästinenser*innen selbst. Niemand habe etwas gegen die Terrororganisationen unternommen, auch nicht die palästinensische Führung.

Doch so einfach sind die Dinge nicht: Es gibt ein Sicherheitsabkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde: Eine palästinensische Polizei wurde gegründet und soweit bewaffnet, dass sie gegen militante Organisationen und gegen deren Terrorpläne vorgehen konnte. Das nutzte beiden Seiten: Israel bekam mehr Schutz vor Terror. Die dominierende Fatah-Fraktion indes hatte die Möglichkeit, ihren Machtanspruch gegen Konkurrenz zu verteidigen.

Seit einigen Jahren jedoch reden beide Seiten nur noch wenig, zeitweise auch gar nicht mehr miteinander. Bei vielen Palästinenser*innen ist der Eindruck entstanden, dass die Zusammenarbeit nur dazu dient, Israels Regierung beim Siedlungsbau zu helfen. Aber vor allem: Die palästinensische Autonomiebehörde ist finanziell ausgeblutet; es wird gar von einem Bankrott gesprochen. Seit Langem kann sie die Löhne der öffentlichen Bediensteten nicht oder nur zum Teil bezahlen, was die soziale Lage weiter verschärft. Laut palästinensischer Regierung haben deshalb bis zu 30 Prozent der Polizist*innen gekündigt. Selbst wenn sie wollte, könnte sie gar nicht gegen bewaffnete Gruppen vorgehen.

Die Einwohner*innen in Dschenin werden das tun, was man in den palästinensischen Gebieten immer tut, wenn bei einem israelischen Angriff etwas zerstört wird: Es mit den wenigen Mitteln, die man hat, und vielleicht etwas Unterstützung aus dem Ausland notdürftig reparieren. Viele Regierungen haben zur Zurückhaltung aufgerufen, die Arabische Liga verurteilte die Operation als »kriminell«.

Doch mit großer Unterstützung ist nicht zu rechnen. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNWRA leidet unter der schwersten finanziellen Krise seit seiner Gründung; die Mitgliedsstaaten der Uno sind immer weniger dazu bereit, Geld zu geben. Und bis vor drei Wochen konnte UNWRA vier Monate lang fast gar nichts tun. Denn in den palästinensischen Gebieten streikten die Mitarbeiter*innen.

Am Dienstag steuerte ein Mitglied der Hamas in Tel Aviv ein Auto in eine Menschenmenge; sieben Menschen wurden verletzt, der Attentäter wurde erschossen. Aus dem Gazastreifen wurden fünf Raketen auf Israel abgefeuert, woraufhin die israelische Luftwaffe eine leere militärische Einrichtung der Hamas außerhalb von Gaza-Stadt angriff. Doch gemessen daran, dass die Hamas in Dschenin angegriffen wurde, blieb ihre Reaktion unerwartet schwach – wahrscheinlich, weil die Hamas-Führung in Gaza große Probleme hat: Man ist militante Organisation, aber eben auch politische Führung.

Und die wirtschaftliche Lage ist extrem schlecht, Strom gibt es für maximal vier Stunden am Tag. Viele der in den vorangegangenen Kriegen zerstörten Häuser sind bis heute nicht völlig instand gesetzt: 120 000 Menschen hätten den vergangenen Winter in mehr als 20 000 Häusern ohne Fenster und Türen verbringen müssen, berichtet der norwegische Flüchtlingsrat. Zudem sind nach Angaben der Uno nur noch vier Prozent des Wassers trinkbar. Der Rest ist entweder durch die marode Infrastruktur mit Abwasser verunreinigt oder versalzen.

Das liegt vor allem an der seit 16 Jahren andauernden Blockade durch Israel und Ägypten sowie den Kriegsschäden, die nie repariert werden konnten. Ziel war es zu verhindern, dass Material für den Waffenbau in den Gazastreifen gelangt. Funktioniert hat das nicht. Ebenso erfolglos waren die Versuche der Hamas, mit Gewalt eine Lockerung der Blockade zu erreichen.

Man muss sich irgendwie mit den Nachbarn, der internationalen Gemeinschaft als Geldgeber arrangieren. Zugleich will man aber an der eigenen Ideologie festhalten: der Zerstörung Israels und der Nähe zur in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft. Das passt nicht zusammen. Doch für den Moment scheint die Hamas zumindest eine größere Konfrontation mit Israel vermeiden zu wollen.

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