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Bildung in Berlin: Düstere Aussichten
Linke warnt vor »Zwangsvollzeit« bei Lehrkräften
Was ändert sich mit Schwarz-Rot an den Schulen? Diese Fragen stellen sich derzeit viele Lehrkräfte, Eltern und Schüler. Nicht alle sind optimistisch – das wurde bei einer Diskussionsrunde am Mittwoch, zu der die Linke-Landesvorsitzende Franziska Brychcy geladen hatte, schnell deutlich. »Ich glaube, es gab noch nie so eine Mangelsituation wie gerade«, sagte Tom Erdmann, frisch wiedergewählter Landesvorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW, bei der Online-Runde.
Für das kommende Schuljahr habe man 1500 Lehrerstellen nicht besetzen können, für das nächste Schuljahr rechnet Erdmann gar mit einer Lücke von 2500 Lehrkräften. »Die Ursache ist simpel: Berlin bildet zu wenig aus«, so Erdmann. 3000 neue Lehramtsabsolventen müsste es nach Gewerkschaftsberechnungen jedes Jahr geben, um die Lücken zu füllen. Bisher bilden die Universitäten weniger als 1000 aus. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der neuen Lehrkräfte sind überhaupt ausgebildete Lehrer, der Rest sind Quer- und Seiteneinsteiger.
Erdmann befürchtet, dass sich daran wenig ändern wird – eine Angst, die auch die Hochschulleitungen umtreibt. Wie der »Tagesspiegel« am Mittwoch berichtete, verfassten die Universitätspräsidenten einen Brandbrief an Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Sie fürchten, dass die schon ausgehandelten Mittelaufwüchse im Zuge der Haushaltsverhandlungen wieder kassiert werden könnten. »Mit größter Sorge hören wir, dass die von der Senatsverwaltung für Finanzen vorgesehenen Ansätze zur Finanzierung der Hochschulverträge bei weitem nicht ausreichen«, heißt es in dem Brief. Die Zielzahl bei den Lehramtsabsolventen könne so nicht erreicht werden.
»3000 ist eigentlich eher die untere Grenze dessen, was benötigt wird«, sagte Franziska Brychcy. Sie befürchte, dass der Mangel am Ende zulasten der zurzeit unterrichtenden Lehrkräfte gehe. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) habe angekündigt, Teilzeitlehrer zu mehr Arbeit zu bewegen. Es könnte nicht nur bei Appellen bleiben, warnte Brychcy. »Wir wollen keine Zwangsvollzeit.« Besonders für verbeamtete Lehrkräfte könnte das aber drohen. Dabei seien die Arbeitsbedingungen bereits so belastend, dass viele den Beruf verließen: Allein in diesem Jahr habe es 1000 Kündigungen gegeben, 100 mehr als im Vorjahr. Dies ergab eine Anfrage der Linksfraktion.
»Für mich ist der Koalitionsvertrag ein Abschied von der Vision der inklusiven Schule«, sagte Robert Giese, Schulleiter der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule. Es sei eindeutig, dass die Koalition Gymnasien fördern wolle. Dabei sei dies die sozial exklusivste Schulform. Integrierte Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen, an denen die Schüler von der Grundschule bis zur Oberstufe gemeinsam lernten, würden dagegen nur knapp im Koalitionsvertrag behandelt.
Privilegiert sieht Giese die Gymnasien etwa bei der geplanten Abschaffung der Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss (MSA). An den anderen Schulformen soll es die Prüfungen dagegen weiterhin geben. »Dabei leiten doch alle Schulformen zum Abitur«, so Giese. Mit dem Beschluss gehe man davon aus, dass die Schüler am Gymnasium gar nicht erst geprüft werden müssten. »Dabei fallen auch an den Gymnasien 25 Prozent durch die Matheprüfung«, so Giese.
Für eine »Ressourcenverschwendung« halte er, dass Gymnasien auch fünfte und sechste Klassen unterhielten. Entsprechende Klassenzüge gebe es auch an den Grundschulen. »In dem Moment, wo ich solche Klassen auch an Gymnasien einrichte, brauche ich ja auch Lehrer und Räume dafür«, so Giese. Ohne die gymnasiale Unterstufe könnten mehr Schulplätze geschaffen werden. Die Nachwuchsklassen verstärkten die soziale Segregation. »Das dient nur einer bestimmten Klientel.«
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