Kirchenaustritte in Berlin: Ach, Gottchen

Drastischer Schwund: Nicht mal jeder fünfte Berliner ist noch Kirchenmitglied

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Den christlichen Kirchen in Berlin laufen in immer größerem Ausmaß die Gläubigen davon. So kehrten im vergangenen Jahr insgesamt rund 24 000 Berliner*innen der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche den Rücken. Das sind noch einmal ein Viertel mehr als 2021, als gut 19 400 Menschen bei den Amtsgerichten ihren Kirchenaustritt erklärt hatten. Das geht aus einer »nd« vorliegenden, noch unveröffentlichten Antwort der Senatsjustizverwaltung auf eine Schriftliche Anfrage des rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg, hervor.

Der Zulauf durch Kircheneintritte und Taufen ist zugleich dürftig. Eigenangaben des Erzbistums Berlin und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zufolge fanden 2022 gerade mal etwa 4200 neue Schäfchen ihren Weg in die Gemeinden.

Die Zahlen der Justizverwaltung belegen letztlich, dass die Bindungskraft der Kirchen von Jahr zu Jahr weiter schwindet. Gehörten 2021 noch 21,3 Prozent der Berliner*innen einer der beiden inzwischen gar nicht mehr so großen Kirchen an, so sank deren Anteil im vergangenen Jahr erstmals knapp unter 20 Prozent. Deutschlandweit gehört Berlin damit zu den Bundesländern mit dem geringsten Anteil von Kirchenmitgliedern.

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Angesichts der Zahlen sei es komplett unverständlich, dass sich der schwarz-rote Senat die Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion an den Schulen auf die Fahnen geschrieben hat, kritisiert Linke-Politiker Schlüsselburg. Bei den Plänen handele es sich um »ein aus der Zeit gefallenes Geschenk an die Kirchen«, sagt Schlüsselburg zu »nd«. »Es kann doch nicht sein, dass sich Schüler*innen zum Beispiel zwischen Naturwissenschaften und Religion entscheiden müssen, und das auch noch in einer Stadt mit weniger als 20 Prozent Kirchenmitgliedern.«

Bislang ist Religionsunterricht in Berlin im Unterschied zu den meisten anderen Bundesländern kein ordentliches Schulfach. Die Zahl der Schüler*innen, die Religion als freiwilliges Unterrichtsangebot wahrnehmen, geht dabei seit Jahren zurück. Böse Zungen behaupten denn auch, der von der CDU in den Koalitionsverhandlungen durchgedrückte Religionsunterricht sei eine späte Rache für den 2009 von ihr unterstützten, aber krachend gescheiterten Volksentscheid »Pro Reli«.

Sebastian Schlüsselburg möchte unterdessen nicht nur, dass die Pläne für ein Wahlpflichtfach Religion in der Versenkung verschwinden. Auch fordert der Rechtsexperte – nicht zum ersten Mal – die Abschaffung der 2014 von SPD und CDU in Berlin eingeführten Kirchenaustrittsgebühr. Schlüsselburg sagt: »Religion ist Privatsache. Deswegen sollten wir dort, wo die Grundrechte es zulassen, Staat und Kirche trennen.« Das betreffe auch die unnötige Verwaltungsgebühr.

Immerhin, die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus unterstützt den Linke-Vorstoß. »Die positive und negative Religionsfreiheit ist eine wichtige Säule unserer Demokratie«, sagt Reinhard Naumann, der religionspolitische Fraktionssprecher. Dieses Recht beinhalte konsequenterweise auch die Freiheit des Kirchenaustritts. »Während aber der Kircheneintritt kostenfrei ist, wird für den Austritt in Berlin aktuell eine Gebühr von 30 Euro verlangt. Dieser Unterschied steht der Religionsfreiheit entgegen.« Man werde sich deshalb, so Naumann, für eine Anpassung des Kirchenaustrittsgesetzes einsetzen.

Derweil geht der Mitgliederschwund munter weiter. Ende 2022 gehörten nach Angaben der Justizverwaltung nur noch 12,6 Prozent der Berliner*innen der evangelischen (2011: 21,5 Prozent) und lediglich 7,3 Prozent der katholischen Kirche an (2011: 9,5 Prozent).

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