Amazon: Ausstand an den Prime Days

In den Amazon-Verteilzentren in Deutschland wurde in dieser Woche wieder gestreikt

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Die sogenannten Prime Days sind eigentlich Tage reger Betriebsamkeit in den Amazon-Versandzentren. Mit den groß angelegten Aktionstagen versucht der Konzern seinen Marktanteil weiter auszubauen. Doch in den vergangenen Tagen war der Betrieb heruntergefahren. Für insgesamt zehn Standorte in Deutschland hatte Verdi von Dienstag bis Donnerstag die Mitglieder zum Streik aufgerufen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft will Druck auf das Unternehmen aufbauen, damit es sich auf Verhandlungen einlässt. »Wir wollen Amazon dazu bringen, die Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels anzuerkennen und einen Tarifvertrag abzuschließen«, sagte Verdi-Streikleiterin Monika Di Silvestre im Gespräch mit »nd«. Dabei geht es um höhere Löhne, aber auch um bessere Arbeitsbedingungen, etwa Gesundheitsschutz, Arbeitszeiten oder Pausenbestimmungen.

Knapp zehn Jahre dauert der Konflikt um die Tarifverträge im Unternehmen schon an. Die Kämpfe der Amazon-Arbeiter*innen sind beeindruckend, findet Sabrina Apicella. Die Sozialwissenschaftlerin hat in ihrer Studie »Das Prinzip Amazon« die Arbeitsbedingungen und Kämpfe im Konzern erforscht. »Mir ist kein anderer Arbeitskampf bekannt, bei dem gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen eine solche Ausdauer und Vehemenz zeigen«, erklärt sie auf nd-Anfrage.

»Wir sehen auch, dass sich neue Standorte der Streikbewegung anschließen.« Dabei sei es aufgrund der Unternehmensdynamik schwer, Gewerkschaftskämpfe zu organisieren. Das gelte besonders, wenn Belegschaften sehr divers sind. »Da müssen Generationen, Geschlechterrollen oder Sprachbarrieren gemeinsam überwunden werden«, erklärt die Sozialwissenschaftlerin. Zudem soll das Unternehmen aktiv versuchen, gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb zu verhindern.

Wie hoch der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Betrieb aktuell ist, will Verdi auf nd-Anfrage nicht bekannt geben. Er sei aber auch im Vergleich zu anderen Branchen gut, sagt Streikleiterin Di Silvestre. Insbesondere in den letzten Monaten habe es einen starken Zustrom an Neumitgliedern gegeben. »Allein in Koblenz haben wir über 200 neue Mitgliedsanträge«, sagt sie. Als Ursache spielen auch die stark gestiegenen Lebensmittelpreise eine große Rolle. »Die Leute wissen teilweise nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Sie haben Wut im Bauch«, erzählt sie.

Ende Juni hatte Amazon angekündigt, ab September den Einstiegslohn für Logistikmitarbeiter*innen auf 14 Euro zu erhöhen. Dass dies auf Druck der Gewerkschaften zurückgehe, dementiert das Unternehmen. Zu den wirtschaftlichen Folgen des Streiks heißt es auf Anfrage, dass es keine Auswirkungen auf Kund*innen gebe. Die Verteilzentren seien vorbereitet gewesen, um alle Kundenbestellungen zu bearbeiten.

Mittlerweile hat das Unternehmen in Deutschland einen Umsatzanteil von über 70 Prozent an Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler, wie aus Zahlen des Bundeskartellamtes hervorgeht. Wegen der marktbeherrschenden Stellung wird Amazon seit vergangenem Jahr von der Kontrollbehörde überwacht. Aktuell laufen zwei Verfahren, weil der Verdacht besteht, das Unternehmen könnte seine Marktmacht bei Preisfestsetzungen missbraucht haben. Die Ermittlungen dauern in beiden Fällen an, teilte die Behörde auf Anfrage mit.

Laut eigenen Angaben hat Amazon im Jahr 2022 einen Rekordumsatz von knapp 514 Milliarden Dollar gemacht. Zudem konnte der Konzern seine Verkaufszahlen um 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern, nachdem es schon »in der ersten Hälfte der Pandemie ein beispielloses Wachstum erlebt hat«, wie Andy Jassy, CEO des US-Konzerns, seinen Anteilseignern im April mitteilte. Der Vorsteuergewinn konnte im Jahr 2022 um rund 1,1 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr vergrößert werden.

Als globaler Konzern zählt Amazon zu den umsatzstärksten Unternehmen weltweit. Darum stehen auch die aktuellen Streiks in einem internationalen Kontext. »Wir haben eine Art Vorreiterrolle, weil wir durch das relativ gute Arbeitsrecht hier mehr Möglichkeiten haben als in anderen Ländern«, sagt Verdi-Streikleiterin Di Silvestre. »International schauen die Kollegen und Kolleginnen darauf, was in Deutschland passiert.«

Zeitgleich zum Streik in Deutschland wurde auch am Amazon-Standort im britischen Coventry die Arbeit niedergelegt. »Dass nun auch in UK gestreikt wird, das neben Deutschland zu den wichtigsten Absatzmärkten Europas gehört, ist eine gute Nachricht«, sagt die Sozialwissenschaftlerin Apicella. Zudem zeige der Abschluss eines Tarifvertrags in Italien im Jahr 2018, dass sich der Konzern bei ausreichend Druck bewege: »Es ist möglich, Amazon einen Kompromiss abzuringen«, ist sie überzeugt.

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