- Kommentare
- HassLiebe
Alte Lieder
Die Goethe-Uni Frankfurt lässt Besetzung räumen
Was ist empirische Ästhetik? Aus gegebenem Anlass schaue ich auf die Website des Frankfurter Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA), wo ich erfahre: Es soll erforscht werden, »was wem warum und unter welchen Bedingungen ästhetisch gefällt und welche Funktionen ästhetische Praktiken und Präferenzen für Individuen und Gesellschaften haben«. Der Abteilungsdirektor Fredrik Ullén, promovierter Mediziner und Konzertpianist, scheint hier übrigens vor allem Menschen wie sich selbst zu untersuchen, wenn unter seiner Ägide »psychologische Untersuchungen in Gruppen von hochbegabten Expertinnen und Experten mit Analysen des Zusammenspiels von Genen und Umwelt in großen Zwillingsstichproben« angestellt werden.
Der Erkenntnisgewinn der Hirnforschung für das Verständnis eines so genuin sozialen Phänomens wie der Musik bleibt allemal unklar; dieser Positivismus verkörpert die Tendenz der bürgerlichen Wissenschaft, die kritische Gesellschaftsanalyse vollständig zu verwerfen. Und das in der Heimat der Frankfurter Schule! Aber wir schweifen ab. Denn eigentlich taucht das MPIEA hier nicht als Produzent unnützer Wissenschaft auf, sondern als aggressiver Immobilieneigentümer einer ehemaligen Druckerei auf dem Bockenheimer Campus der Goethe-Universität. Dieses wurde bislang durch die Kunstpädagogik genutzt und soll nun abgerissen werden, um einem Neubau zu weichen. Um das zu verhindern, besetzte das Kollektiv »DieDruckerei« bereits Ende Juni das historische Gebäude, um es »als letztes Stück der Bockenheimer Industrieepoche zu erhalten und als öffentlich zugängliches Zentrum mit historischen Dauerausstellungen in den geplanten Kulturcampus einzubinden«. Weniger mehrheitskompatibel formuliert: Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum sollte eingerichtet und das ominöse Ästhetik-Institut verhindert werden.
Zunächst sah die Sache günstig aus, die Räumung ließ auf sich warten, die Polizei beendete ihren ersten Einsatz, da die Eigentümer des Gebäudes »keine Einwände gegen die Aktion im Inneren des Gebäudes geäußert« hätten. Die breite Akzeptanz dieser spezifischen Besetzung – ganz anders sieht es erfahrungsgemäß aus, sobald es etwa um Wohnraum geht – hatte vermutlich damit zu tun, dass sich im Ortsbeirat 2 eine Mehrheit für den Erhalt der alten Druckerei aussprach. Selbst die Bildzeitung berichtete geradezu wohlwollend, zitierte gar die »Architects for Future« zur schlechten Klimabilanz von Abriss und Neubau. Der SPD-Landtagskandidat Jan Pasternack bezeichnete das Ganze als »Pilotprojekt« eines »geforderten substanziellen Umdenkens im Bausektor« – ein Vorhaben, das seiner Partei eigentlich nicht unterstellt werden kann.
Aber keine Angst, liebe Bezirks-Politiker*innen! Bevor ihr ernstmachen müsst mit irgendwelchen Versprechungen, könnt ihr die Schuld immer noch auf das Land schieben. Auf dessen Zuständigkeit in der Sache hatte natürlich auch Pasternak längst verwiesen. Und tatsächlich erklärten die Ästhetiker*innen am vergangenen Mittwoch auf ihrer Website: »Unser Dank gilt dem Land Hessen und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das genauso wie wir nach wie vor fest davon überzeugt ist, dass das MPIEA auf dem Grundstück der ehemaligen Dondorf-Druckerei einen idealen Standort erhält.« Heißt: Es wurde geräumt! Alles beim Alten also in der Kapitalstadt Frankfurt.
Tanja Röckemann
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.