Schwarz-roter Koalitionsvertrag: Rassismus zwischen den Zeilen

Ein polizeikritisches Podium blickt auf die innenpolitischen Pläne der schwarz-roten Koalition in Berlin

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich wollen sie gar nicht über den Koalitionsvertrag reden. »Vom Papier zur rassistischen Realität: Rassismus, Polizeigewalt und Täter*innenschutz im schwarz-roten Koalitionsvertrag«, so lautet zwar der Titel der Podiumsdiskussion, die das Bündnis Go Film the Police am Mittwochabend im Nachbarschaftshaus Urbanstraße veranstaltet. Doch die Gäste sind sich im Großen und Ganzen einig: Schwarz-Rot fährt zwar eine Law-and-Order-Politik, die Ursachen für rassistische Sicherheitsbehörden liegen jedoch viel tiefer.

»Es ist ein Fehler zu glauben, dass sich Dinge abhängig vom regierenden Parteienbündnis substanziell verändern«, sagt gleich zu Anfang Koray Yılmaz-Günay, Co-Geschäftsführer des Migrationsrates Berlin. »Wie Polizei verstanden wird, geht zurück auf den deutschen Kolonialismus und auf die Kriminalisierung von Rom*nja in Deutschland«, setzt Yilmaz-Günay einen Zeithorizont, der den Rahmen einer Legislaturperiode sprengt.

Ein paar konkrete Punkte, die sich unter dem schwarz-roten Senat voraussichtlich verschlechtern werden, nennen seine Mitredner*innen dann trotzdem. Die Rechtsanwältin Nadija Samour erwähnt den sogenannten finalen Rettungsschuss: So plant der neue Senat, eine rechtliche Grundlage für den tödlichen Einsatz von Schusswaffen bei Gefahrenabwehr zu schaffen. »Das wäre dann legales Erschießen durch Polizist*innen«, sagt Samour.

Als zweiten Punkt nennt sie mögliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Laut Koalitionsvertrag solle künftig das Merkmal der öffentlichen Ordnung als Grundlage dazu dienen, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. »Das ist sehr vage zu sagen, die Polizei darf die öffentliche Ordnung schützen«, erklärt Samour die Kritik an dieser geplanten Gesetzesreform. Bereits jetzt zeige sich, was das für bestimmte Communities bedeute: Samour, selbst Palästinenserin, betont, wie die palästinensische Gemeinschaft in Berlin durch Demonstrationsverbote in ihrer Versammlungsfreiheit eingeschränkt würde.

Biplab Basu, Gründer der Opferberatungsstelle Reachout und der Kampagne für Opfer von Polizeigewalt KOP, macht dem alten Senat Vorwürfe. So hätte sich nichts an den »kriminalitätsbelasteten Orten« (KBO) geändert, die bereits seit den 1990ern erhöhte Polizeipräsenz und verdachtsunabhängige Kontrollen ermöglichen. »Das existiert solange, bis wir ausreichend Druck auf der Straße ausüben.«

Die übrigen Law-and-Order-Pläne, also die flächendeckende Ausstattung mit Tasern inklusive niedrigerer Einsatzbedingungen, mehr Bodycams und deren Nutzung in Privaträumen, die Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung, mehr Videoüberwachung an KBO und eine auf fünf Tage verlängerte Präventivhaft, schneiden die Gäste nur kurz oder gar nicht an. Sie konzentrieren sich auf die Geisteshaltung, die sie den Zwischentönen entnehmen.

So bemerkt etwa Yılmaz-Günay die häufige Wortkombination von Sicherheit und Sauberkeit: »Dieser lineare Zusammenhang bereitet mir Sorge.« Denn der sicherheitspolitische Ruf nach Sauberkeit und Ordnung richte sich immer an bestimmte Bevölkerungsgruppen, ohne dass sie genannt würden. Basu wird an dieser Stelle deutlich: »Das ist ganz klar rassistisch. Sie meinen nicht den BSR, sie meinen unsaubere Menschen.« Samour ergänzt: »Das ist auch ein Klassenkampf von oben.« Sie bezieht sich etwa auf defensive Architektur, die obdachlose Menschen vom Schlafen oder suchtkranke Menschen vom Konsumieren abhalten soll. »Da geht es um die Bestrafung armer Menschen.« Deshalb mache sie sich Sorgen, wenn parallel durch Sparmaßnahmen soziale Dienste gekappt würden.

Natürlich kommt das Podium schließlich auf die Freibad-Debatte zu sprechen. Basu hält die mediale Aufregung für überzogen. »In der Sommerpause freuen sich die Journalist*innen über einen Badewannenkrieg.« Samour hingegen erkennt durchaus die schwierige Lage in den Bädern an: »Es herrscht dort Personalmangel, das müssen wir ebenfalls im Zusammenhang mit Sozialkürzungen sehen.«

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