Bürgerrat: Wider den Shitstorm

Über den ersten offiziellen Bürgerrat

Ein alter Demonstrationsslogan bekommt gerade eine neue Bedeutung: »Bürger, lasst das Glotzen sein, komm herunter, reiht euch ein!« Einreihen sollen beziehungsweise dürfen sie sich nun in ein neues Politikformat, das so etwas wie direkte Demokratie bei ausgewählten Themen simulieren soll: den Bürgerrat. Am Freitag wurden die Teilnehmer für das erste Gremium dieser Art ausgelost, es geht um Ernährung.

Kritik kommt von rechts: Nach dem althergebrachten Staatsverständnis von CDU und CSU ist Demokratie ein zügiges Durchregieren mittels der gewählten Institutionen von Legislative und Exekutive, wobei Lobbyisten perfekt ihren Einfluss ausspielen können. Und die AfD versteht unter direkter Demokratie Volksabstimmungen unter Deutschen, wobei tumbe Pöbeleien auf der Straße und Shitstorms im Web den Takt vorgeben. Eine sachbezogene, kreative und ergebnisoffene Entscheidungsfindung unter interessierten, gleichzeitig ganz verschiedenen Bürgern ist der Tod rechter Stimmungsmache, aber auch des lobbyistischen Beraterunwesens.

Doch kleine Bürgerräte können Parlamente natürlich nicht ersetzen. Sie geben auch nur Empfehlungen ab. Ein weit gewichtigerer Bürgerkonvent in Frankreich zu allen Themen rund um Umwelt und Klima macht rund 150 Vorschläge, von denen entgegen den Versprechungen nicht einmal die Hälfte umgesetzt wurde. In Deutschland wird es nicht einmal dazu kommen. Außerdem bleiben trotz heterogener Zusammensetzung arme Bevölkerungsgruppen wohl unterrepräsentiert. Dabei könnten gerade sie zum Thema Ernährung viel beitragen.

Nichtsdestotrotz: Bürgerräte geben einen Fingerzeig, wie sich Demokratie in einer Zeit mit Politikverdrossenheit auf der einen Seite und einer Inflation an Netzdebatten auf der anderen Seite weiterentwickeln ließe. Ihr aktuell vielleicht wichtigstes Motto lautet: Wider den Shitstrom!

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -