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Computerspielemuseum: Zum Zocken programmiert
Eine Ausstellung in Berlin-Friedrichshain erklärt, warum Videospiele die Menschen anziehen und begeistern
»Ich glaube, ich sterbe gleich.« Mit seinem Joystick kämpft ein junger Mann um sein Leben, genauer gesagt um das des kastigen 2D-Männchens auf dem Bildschirm vor ihm. Die Hoffnung, sich in letzter Sekunde noch retten zu können, hat er offensichtlich schon aufgegeben. »Mach dir nichts draus«, tröstet ein Freund, bevor es kommt, wie es kommen musste: Game over. Weiter geht’s zum nächsten Ausstellungsobjekt.
Über 350 verschiedene Konsolen und Computerspiele können Besucher*innen im Berliner Computerspielemuseum bewundern und nicht wenige von ihnen auch selbst ausprobieren. Das Angebot reicht von altbekannten Klassikern und absoluten Raritäten bis hin zu jüngeren Meilensteinen der Spielegeschichte. »Wir wollen nicht langweilen, aber gleichzeitig den Leuten, die bereit sind zu lernen, auch etwas beibringen«, sagt Ausstellungsleiter Matthias Oborski zu »nd«. Besucher*innen könnten viel Zeit an den Controllern verbringen, sich zudem auch über die Geschichte dessen informieren, was über die Bildschirme flimmert.
Mit zahlreichen Texttafeln, die Informationen in kleinen Häppchen serviert, geht die Ausstellung den Ursprüngen des Computerspiels auf den Grund. Die Reise führt nicht nur weit zurück in die Vergangenheit. Schon die Römer hätten versucht, der Realität durch illusionistische Szenen zu entfliehen, mit denen sie ihre Zimmer ausmalten. Der Hang zum Virtuellen, wird unter anderem in der Ausstellung argumentiert, liege in der Natur des Menschen selbst. Genauso wie die Lust zum Spielen.
Hinzu kommen Fortschritte in der Technik. Was seine Anfänge bei unterhaltenden Lichtspielen im 17. Jahrhundert nimmt, findet seinen Weg über Weiterentwicklungen der Filmtechnik und interaktive Möglichkeiten bis hin zur modernen Konsole. Mit zunehmender Maschinisierung, wird auf einer der Ausstellungstafeln erklärt, verbreite sich in der Gesellschaft auch die Idee, mit den Maschinen selbst zu spielen.
Mit seiner Mischung aus Spiel und klassischen Ausstellungselementen will das Museum aufklären und hier und da auch mit noch vorhandenen Vorurteilen aufräumen. Dem Videospiel soll der Weg zum allseits anerkannten Kulturgut bereitet werden. »Gerade in Deutschland, wo Hochkultur noch immer streng von Popkultur getrennt wird, ist es hilfreich, wenn man das Wort ›Museum‹ im Namen hat«, bemerkt Oborski. Im Vergleich zu den 90ern habe sich die Sicht auf Videospiele bereits massiv verändert. »Ich möchte sagen, dass auch unser Museum dazu beigetragen hat.«
Hoffen kann das Oborski auch deshalb, weil das Computerspielemuseum an der mit historischen DDR-Bauten gespickten Karl-Marx-Allee schon selbst einiges an Geschichte aufzuweisen hat. Schon 1997 eröffnete das Museum in Berlin, damals mit der weltweit ersten Dauerausstellung, die sich der interaktiven digitalen Unterhaltungskultur widmete. Ein paar Mal zog das Museum seitdem um. Es landete schließlich 2011 am jetzigen Ort.
Im Hochsommer flüchten sich die Redakteur*innen des Hauptstadtressort nach drinnen und besuchen für euch einmal die Woche nischige Ausstellungen und sehenswerte Museen.
Weshalb das Museum ausgerechnet in Berlin gegründet wurde, ist schnell erklärt. »Mitte der 90er hat sich hier die USK gegründet«, sagt Oborski. Seit jeher seien der Stelle, die in Deutschland für die Festlegung der Altersbeschränkung bei Videospielen zuständig ist, etliche Videospiele zur Kontrolle zugesendet worden. »Damals noch physisch«, wie Oborski ergänzt. Um den Schatz nicht einfach seinem Schicksal in dunklen Archiven zu überlassen, sei das Computerspielemuseum ins Leben gerufen worden.
Heutzutage, so der Ausstellungsleiter, gelten Berlin und die Hauptstadtregion insgesamt vor allem als namhafter Standort, was kleinere Spieleproduktionen angeht. Mit sogenannten Indiegames feierten einige Entwicklerteams Erfolge, fanden nicht nur in der Szene selbst Anerkennung, sondern konnten sich auch kommerziell behaupten. Ein gutes Beispiel, so Oborski, sei »Through the darkest of Times«: Ein Strategiespiel, bei dem Spieler*innen eine Widerstandsbewegung während der Herrschaft der NSDAP auf die Beine stellen sollen.
Wie in der Karl-Marx-Allee ist die DDR-Geschichte auch im Museum selbst präsent. »Der grundsätzliche Unterschied zwischen Ost und West war, dass es im damaligen Ostblock relativ schwierig war, an westliche Computerchips zu kommen«, erklärt Oborski. Heimcomputer seien besonders in den frühen Jahren seltener gewesen als im Westen, die Rechner habe es hauptsächlich an Universitäten und Forschungseinrichtungen gegeben.
Doch auch wenn die Ressourcen und andere Möglichkeiten beschränkt gewesen seien: »Sobald Technologie da ist, die sich theoretisch zum Spielen eignet, werden die Menschen auch spielen – egal in welchem politischen System.« Wie im Westen hätten Interessierte bestimmte Programmierungscodes quasi illegal untereinander ausgetauscht, um Videospiele auf ihren Systemen zu installieren. »Es war nur schwieriger, an die Hardware zu kommen«, sagt Oborski.
In den späten Jahren der DDR habe die Regierung dann für sich entdeckt, dass Videospiele durchaus nützlich sein können, um junge Menschen für Technologie und die Naturwissenschaften im Allgemeinen zu begeistern. Zwischen 1986 und 1989 brachte die DDR schließlich ihren einzigen Videospielautomaten namens »Poly-Play« hervor. Im Friedrichshainer Museum zählt er zu den Hauptattraktionen.
Das Computerspielemuseum Berlin befindet sich in der Karl-Marx-Allee 93 A und hat täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.
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