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Parlament blockiert EU-Asylpaket
Die geplante EU-Krisen-Verordnung ist nach gescheiterten Verhandlungen vorerst vom Tisch
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Mit einer Krisen-Verordnung wollte die EU-Kommission weitere Garantien des Asylrechts schleifen. Unter bestimmten Voraussetzungen hätten Regierungen wie Italien oder Griechenland etwa die Dauer von sogenannten Grenzverfahren für Geflüchtete auf 20 Wochen verlängern können. Auf die Einführung dieser umstrittenen Asylverfahren in geschlossenen Lagern an den Außengrenzen hatten sich die EU-Innenminister Anfang Juni geeinigt. Wer aus Sicht der Behörden von vornherein keine Chance auf Asyl hat, soll demnach umgehend abgeschoben werden. Diese Asylverfahrensverordnung liegt nun beim Parlament und soll noch vor der Europawahl im Juni beschlossen werden.
Die Krisen-Verordnung ist aber am Mittwoch im Rat gescheitert. Dort stand der finale Entwurf bei den Chefverhandlern aller EU-Länder auf der Tagesordnung. In diesem Ausschuss der Ständigen Vertreter war der Entwurf der Kommission von Anfang an umstritten. Am Dienstag hat die spanische Ratspräsidentschaft deshalb ein zweites Mal Änderungen vorgeschlagen – abermals erfolglos.
Die Ablehnung der Krisen-Verordnung erfolgte aus unterschiedlichen Gründen. Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei geht das geplante Gesetz nicht weit genug. Außerdem sperren sich diese sogenannten Visegrád-Staaten gegen eine verpflichtende Umverteilung Schutzsuchender, nachdem etwa der Rat an den Außengrenzen einen »Massenzustrom« von Migranten festgestellt hat. Diese verpflichtende »Relocation« soll sogar rückwirkend für Geflüchtete gelten können, die bis zu sechs Monaten vor Feststellung eines »Massenzustroms« eingereist waren.
Die Kommission war den als Hardlinern bekannten vier Regierungen jedoch entgegengekommen. Schon der erste Entwurf der Krisen-Verordnung sah neben »Umsiedlungszusagen« auch »Verantwortungsausgleiche« vor. EU-Staaten könnten demnach etwa die libysche oder tunesische Küstenwache finanziell unterstützen, anstatt Geflüchtete für Asylverfahren zu übernehmen.
Deutschland enthielt sich am Mittwoch zu dem jüngsten Entwurf, unter anderem weil auch Minderjährige ins verlängerte Grenzverfahren gezwungen würden. Die Bundesregierung wollte auch nicht, dass die Krisen-Verordnung bei einer »Instrumentalisierung« von Migranten gilt. Gemeint sind Situationen wie an der Außengrenze zur Türkei oder Belarus. Die dortigen Regierungen hatten ab 2020 Asylsuchenden die Weiterreise in die EU erleichtert und sie zum massenhaften Grenzübertritt ermutigt.
Auch in der Fassung der Krisen-Verordnung vom Dienstag findet sich nach Informationen des »nd« der Passus, wonach eine solche Situation entstehen kann, wenn ein Drittland »die irreguläre Migration in die Union anstiftet, […] fördert oder erleichtert oder sogar erzwingt«. Explizit genannt werden »nichtstaatliche Akteure«, die einen Mitgliedstaat »destabilisieren« könnten.
Einzelne EU-Staaten hätten diese Regelung auch gegen unliebsame Seenotrettungsorganisationen anwenden können. Denn laut dem jüngsten Entwurf soll eine »Krisensituation« auch dann vorliegen, wenn der behauptete »Massenzustrom« nach Such- und Rettungsmaßnahmen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats erfolgt.
Die Krisen-Verordnung ist einer von neun neuen Gesetzestexten, die als Teil einer großen »Reform« das EU-Asylsystem verschärfen sollen. Die am Mittwoch erfolgte Ablehnung im Rat könnte sich nun auf das Gesamtpaket auswirken. Denn das EU-Parlament will sich nur mit einzelnen Gesetzen des Gesamtpakets befassen, nachdem der Rat zu allen neun Einzelteilen seine Position formuliert hat.
Die Abgeordneten haben deshalb bereits die Verhandlungen für eine neue Screening-Verordnung ausgesetzt. Schutzsuchende könnten dem Entwurf zufolge bis zu 15 Tage an den Außengrenzen festgehalten werden, damit ihre Identität festgestellt werden kann. Dabei würden sie als »noch nicht eingereist« deklariert.
Das Parlament blockiert derzeit auch die geplante Eurodac-Verordnung. In der gleichnamigen Datenbank werden Fingerabdrücke und Gesichtsbilder von Asylsuchenden gespeichert. Dem Neuentwurf zufolge sollen sogar Kinder ab sechs Jahren ihre biometrischen Daten abgeben müssen.
Größeres Ungemach droht jedoch mit der ebenfalls anvisierten Änderung des Schengener Grenzkodexes. Auch dieser Neuentwurf ist Teil der Asyl-Gesamtreform. Im Falle eines »Massenzustroms« von Schutzsuchenden könnte die EU demnach Übergänge an den Außengrenzen schließen und damit etwa an den Landesgrenzen zu Belarus oder der Türkei die Einreise komplett verhindern. Dies wäre ein absolutes Novum in der Geschichte der Union. Über diese Möglichkeit zur Abschottung haben die EU-Innenminister bereits Einigkeit hergestellt. Auch dieser Entwurf liegt nun zur Beratung im Parlament – über eine Blockade durch die Abgeordneten ist aber noch nichts bekannt.
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