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Ohne »Zukunft Gas«: Stadtwerke for Future
Kommunale Energieversorger sollen Gaslobbyverband verlassen, fordern Klimaschutzorganisationen
Rund 60 Stadtwerke und 30 weitere regionale Versorgungsunternehmen in Deutschland sind Mitglieder im Lobbyverband »Zukunft Gas«. In einem gemeinsamen, am Donnerstag veröffentlichten Aufruf fordern 71 Klimaschutzinitiativen und -organisationen – darunter Greenpeace, BUND, Lobby Control sowie Fridays-for-Future-Gruppen – diese Stadtwerke dazu auf, den Verband zu verlassen. Als kommunale Unternehmen hätten sie eine Vorbildfunktion hinsichtlich einer klimagerechten Energie- und Wärmeversorgung.
»Demgegenüber vertritt ›Zukunft Gas‹ vor allem die Interessen der fossilen Energie«, heißt es in dem Aufruf. Unter anderem sind dort auch Großkonzerne wie Wintershall Dea, Shell oder die frühere Gazprom-Tochter Wingas organisiert. Durch eine Recherche des Investigativmediums »Correctiv« von Februar seien sie darauf aufmerksam geworden, dass ausgerechnet Stadtwerke die Arbeit des einflussreichen Gaslobbyverbands durch ihre Mitgliedschaft mitfinanzieren, sagt Henning Peters zu »nd«. Er ist Referent für Energie und Klima beim Umweltinstitut München, das den Aufruf initiiert hat.
»Zukunft Gas« sei »in seinen Methoden hochproblematisch« und falle immer wieder durch unwissenschaftliche Stellungnahmen auf, wie zum Beispiel der, dass Erdgas klimafreundlich sei. Tatsächlich bezeichne man Erdgas als »klimaschonend«, weil es weniger CO2 verursacht als Kohle und Öl, sagt Charlie Grüneberg, Sprecher von »Zukunft Gas«, zu »nd«.
Zudem schreibt der Verband auf seiner Website: »Die zukünftige Infrastruktur für neue Gase entsteht bedarfsgerecht aus der heutigen.« Mit »neuen Gasen« sind vor allem Wasserstoff und Biogas gemeint, für deren Verwendung die aktuellen Erdgasnetze demnach weitergenutzt werden sollen. Peters verweist auf ein Thesenpapier der Lobby-Organisation »Agora Energiewende«, in dem es dagegen heißt: »Die Gasverteilnetze müssen auf das disruptive Ende ihres Geschäftsmodells vorbereitet werden.« Wasserstoff sei zwar ein entscheidender Faktor für die Klimaneutralität, aber der Elektrifizierung nachgeordnet, weil er zu ineffizient und zu teuer ist.
»Zukunft Gas« verschweige, dass die Umrüstung eines kompletten Gasnetzes auf klimafreundlichen grünen Wasserstoff viel komplexer sei als der Einbau elektrisch betriebener Wärmepumpen. Stadtwerke, die dem Verband vertrauen, liefen somit Gefahr, Fehlinvestitionen zu tätigen, zum Beispiel in die alten Erdgasnetze, was zu hohen Verlusten führen könnte. Grüneberg von »Zukunft Gas« sieht seinen Verband durch den Aufruf »zu Unrecht an den Pranger gestellt«. Schließlich sehe man die Zukunft eben nicht in fossilem Erdgas, sondern in Wasserstoff und seinen Derivaten sowie Biomehtan. Und: »Welche Rolle Wasserstoff in Zukunft in welchem Sektor genau spielen wird, kann heute niemand mit Sicherheit sagen«, so Grüneberg.
Wärmepumpen könnten nicht überall eingebaut werden, in älteren Bestandsbauten gebe es damit häufig Probleme – zumal es aktuell weder genug Pumpen noch Handwerker*innen für schnelle Umbauten gebe. Daher »sollten wir uns nicht nur auf eine Option verlassen«, meint er. »Zukunft Gas« sehe sich als Partner der erneuerbaren Energien. Beispielsweise könnten mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke bei der Stromerzeugung einspringen, wenn Sonnen- und Windenergie nicht verfügbar seien.
Ein Wasserstoffwärmenetz dagegen könnte die Nutzung von erneuerbarem Strom verhindern, meint Peters vom Umweltinstitut München. Denn würden Gebäude auf Wasserstoff umgerüstet, würde sich zusätzlich keine strombetriebene Wärmepumpe lohnen, sodass selbst bei Sonne und Wind mit dem viel teureren Wasserstoff geheizt werde. »Wasserstoff ist der Champagner der Energiewende«, sagt Peters. Er sollte vor allem in der Industrie zum Einsatz kommen, wo es absehbar keine strombasierten Lösungen gibt.
Was die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff betrifft, verweist Grüneberg auf eine Metastudie seines Verbands, für die fünf Studien ausgewertet worden seien, darunter auch eine von »Agora Energiewende«. Demnach sollten 451 bis 648 Terawattstunden grüner Wasserstoff bis 2045 zur Verfügung stehen. »Das ist wissenschaftlicher Konsens. Die Bandbreite ist durch die Einbeziehung von fünf Studien allerdings sehr groß«, räumt Grüneberg ein. Peters vom Umweltinsitut sieht das kritisch: Die Zahlen seien nicht falsch, doch die große Spanne suggeriere eine falsche Sicherheit.
In dem Bericht von »Correctiv« geht es auch um die Frage, mit welchen Beträgen die Stadtwerke den Gaslobbyverband unterstützen. Die meisten Mitgliedsstadtwerke hätten dazu keine Angaben gemacht. Laut den Stadtwerken Schweinfurt sei der Jahresbeitrag ein »mittlerer vierstelliger Betrag«. Grüneberg sagt, diese Zahlen seien falsch. Genaue Angaben will jedoch auch er nicht machen.
In ihrem Aufruf schlagen die Umweltinitiativen den Stadtwerken vor, stattdessen lieber Mitglied in einem Verband für erneuerbare Energien zu werden. Laut »Correctiv« sind bislang erst zwei von ihnen im »Bundesverband Erneuerbare Energien« organisiert. Im vergangenen Jahr sind jedoch bereits 15 Stadtwerke aus »Zukunft Gas« ausgetreten. Je mehr sich dem anschließen, desto geringer würde der Einfluss der Gaslobby auf die Politik, hofft Peters. »Dann bliebe nämlich erkennbar nur noch die Fossilwirtschaft übrig. Die Stadtwerke unterstützen ja auch mit ihrem guten Ruf die falsche Politik.«
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