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Indigene in Kolumbien: »Wir erleben so viel Gewalt«
Die Journalistin Diana Collazos Cayapú über indigenes Leben im kolumbianischen Cauca
Frau Collazos Cayapú, seit Ihrer Kindheit engagieren Sie sich auf verschiedene Art für die Indigenen in Ihrer Region. Aktuell setzen Sie dabei vor allem auf Kommunikation. Was gefällt Ihnen an dieser Arbeit besonders?
Mir gefällt sehr gut, dass ich Prozesse in den indigenen Gemeinschaften begleiten kann. Ich sehe die Wut, den Schmerz – alle Emotionen – der Gemeinden. Und ich kann diese Emotionen auch selbst fühlen, schließlich ist es auch mein Schmerz. Es freut mich, dass ich diese Geschichten erzählen und weiterverbreiten kann.
Um das zu verstehen, muss man vielleicht ein bisschen mehr über die Situation von Indigenen sprechen. Welche Konflikte gibt es vor Ort im Cauca?
Der Consejo Regional Indigena del Cauca (Cric) vertritt hier elf indigene Völker in 139 Territorien – die Konflikte sehen überall ein bisschen anders aus. Ich komme zum Beispiel aus dem Norden des Causa und habe die Konflikte dort am eigenen Leib erlebt. Dort gibt es mindestens neun bewaffnete Gruppen: Splittergruppen der Farc, das Militär ist vor Ort, aber auch verschiedene andere Guerillagruppen und Drogenhändler. Es geht oft darum, Kontrolle über das Marihuana und die Coca-Plantagen zu erlangen. Die Guerillas konzentrieren sich heute nur noch auf den Drogenhandel, es gibt keine politischen Motive mehr.
Wie genau sind die Nasa vom bewaffneten Konflikt betroffen?
Dieser Terror, dieser Krieg schädigt uns ganz besonders. Immer wieder werden Menschen ermordet, die sich dem entgegenstellen. Es geht dabei auch darum, uns einzuschüchtern. Aber das Volk der Nasa versucht stark zu bleiben, immer wieder haben wir Erfolge. Auch unsere Guardia Indìgena (Indigene Wache, Anm. d. Red.) versuchen uns zu schützen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Was bedeutet das?
Die Guardia Indìgena beschützt unsere Territorien. Ihre Mitglieder besuchen die unterschiedlichen Gemeinschaften und versuchen die bewaffneten Gruppen loszuwerden – immer in Absprache mit den indigenen Gemeinschaften und Anführern. Sie sind diejenigen, die an vorderster Front für unsere Sicherheit kämpfen. Es gibt Jungen, Mädchen, Jugendliche, aber auch ältere Menschen, etwa Großmütter, bei der Guardia Indìgena.
Und wie genau gehen sie vor?
Ihre Hauptwaffe ist erst mal das Wort – und dann haben sie noch ihren Bastón (ein halb langer, mit Silber beschlagener Edelholzstock, Anm. d. Red.). Damit ausgerüstet, laufen sie durch unser Territorium. Sie sind nicht bewaffnet und verteidigen uns nicht mit Waffengewalt.
Aber wie verteidigen sie die indigenen Gebiete dann?
Sie versuchen, über Mingas Kompromisse zu finden.
Können Sie kurz erklären, was Mingas sind?
Mingas sind ein kollektiver Prozess, sozusagen eine Arbeit für die Gemeinschaft. Ursprünglich ging es dabei vor allem um ganz praktische Sachen, zum Beispiel die Reparatur von Straßen. Überbesetzt in den politischen Kontext sind Mingas große Treffen mit verschiedenen Völkern und Organisationen, in denen wir politische Punkte diskutieren, die die indigenen Gemeinschaften betreffen, und versuchen, gemeinschaftlich zu Lösungen zu kommen. Viele Mingas sind nur für uns als Indigene. Oft geht es dabei um spezifische Fragen, die unsere Territorien betreffen. Wir versuchen mit den Mingas aber auch, richtig in die Politik zu wirken und unsere Forderungen durchzusetzen. Wenn nötig, laden wir auch Regierungsvertreter ein, um Lösungen zu finden.
Welche Themen erachten Sie innerhalb Ihrer indigenen Gemeinschaft als problematisch?
Für mich ist das Familienbild manchmal problematisch: Die Frau, die zu Hause bleiben soll und sich um das Heim kümmert. Mit meiner journalistischen Arbeit will ich deshalb auch Frauen in der Politik zeigen. Schwierig ist manchmal auch das Thema sexuelle Vielfalt. Für Nasa im Norden des Caucas ist Homosexualität oft noch eine Krankheit, eine Strafe. Daran versuche ich auch zu arbeiten: Wir machen immer wieder auf das Thema aufmerksam, versuchen Räume zu schaffen, in denen sich queere Indigene öffnen können. Das ist auch Teil unseres großen Kampfes für mehr Gerechtigkeit. Bis das alle so sehen, liegt auch noch viel spirituelle Arbeit vor uns. Gerade den Älteren fällt es schwer, sexuelle Vielfalt nicht als Disharmonie zu sehen, und anzunehmen, dass sich unterschiedliche Personen unterschiedlich fühlen.
Wie kommt es, dass Indigene im Cauca es geschafft haben, so stark zu sein?
Wir haben ein kollektives Verständnis, wir sagen: Wenn einer einen Schuss hört, dann stehen wir alle auf. Mit den Wurzeln des bewaffneten Konflikts ist auch unser Widerstand und unsere Organisation dagegen entstanden. Alles kommt daher, dass auch unsere Territorien immer von den Auseinandersetzungen mit dem bewaffneten Widerstand betroffen waren.
Gibt es vom Staat keinen Schutz für indigene Gebiete?
In der Vergangenheit hat der Staat öfter mehr Militär oder Polizisten geschickt, um gegen die bewaffneten Gruppen, die Guerillas vorzugehen. Unsere Gemeinschaften standen dann oft zwischen den Fronten. Es ging aber nie darum, uns zu schützen. Wir hätten gerne staatlichen Schutz, den gibt es jedoch nicht.
Wie wirkt sich die neue Politik des Präsidenten Gustavo Petro auf das Leben der Indigenen aus? Er möchte ja den »totalen Frieden« und alle bewaffneten Konflikte im Land beenden.
Das ist kein einfaches Thema. Friedensverträge werden von unserer Gemeinschaft eher misstrauisch beobachtet. Bei dem Friedensvertrag mit der Farc wurden Indigene beispielsweise erst ganz am Schluss in den Prozess eingebunden. Trotzdem unterstützt die indigene Bewegung die Regierung von Petro. Es besteht schon die Hoffnung, dass es unter ihm echte Veränderungen gibt. Aber es existiert auch viel Hass: Wir haben so viel Gewalt erlebt, haben so viele von uns sterben sehen. Aktuell spitzt sich die Situation eher zu, weil viele bewaffnete Akteure überhaupt nicht an Frieden interessiert sind. Wir sind sicher, Frieden kann nur durch die Lösung der Landfrage kommen.
Welche Probleme bei der Verteilung von Land sehen Sie?
Aktuell hat eine Kuh in Kolumbien rund zwei Hektar Land, eine durchschnittliche Familie aber nicht mal einen halben. Da muss man ansetzen.
Im Cauca, aber auch in vielen anderen Regionen in Kolumbien gibt es auch viele Konflikte rund um den Anbau von Kokain. Welche Rolle spielen dabei Indigene?
Sowohl Coca als auch Marihuana sind Medizinpflanzen für die Gemeinschaften. Heute darf man pro Familie 50 Coca-Sträucher für den medizinischen Gebrauch anbauen. Weil das sowieso schon schwer zu kontrollieren ist, wird das vom Drogenhandel immer wieder ausgenutzt. Auch weil man viel Geld damit verdienen kann. Mit Coca verdienen junge Menschen in einer Woche mehr als das, was sie mit einer ehrlichen Arbeit in einem Monat verdienen könnten. Die Narco-Kultur durchdringt so auch unsere Territorien.
All diese Themen sind sehr hart und belastend. Wie gelingt es Ihnen, all das zu verarbeiten?
Das alles macht auf jeden Fall etwas mit einem. Unsere Freunde sterben, und wir müssen immer wieder um Menschen trauern, die ermordet werden. Das tut weh, auch jedes Mal, wenn man darüber spricht. Meine Spiritualität hilft mir, damit umzugehen. Und es tut mir gut, dass ich mich an traditionelle Mediziner wenden kann. Aus beidem ziehe ich Kraft. Aber es ist auch wichtig, den Schmerz zuzulassen, ihn zu spüren. Er hilft dabei, dass wir uns erinnern und nicht vergessen, wofür wir kämpfen.
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