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Fußball-WM: Die DFB-Frauen und der Fluch von Tuggerah
Mit der Verletzung von Felicitas Rauch wird das Spiel gegen Kolumbien zum doppelten Härtetest bei der WM
Es kann wirklich nicht an der Pflege liegen, dass über dem Trainingsgelände der deutschen Fußballerinnen am Rande der unscheinbaren Ortschaft Tuggerah offenbar ein Fluch liegt. Unentwegt tuckern kleine Trecker über die vielen Fußballplätze des Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex, die entweder das viele Grün mähen, düngen oder bewässern. Mag das Areal auch keinen weltmeisterlichen Charme haben, so ist der Untergrund für die täglichen Übungseinheiten der deutschen Fußballerinnen in Ordnung. Aber: Die Verletzungsmisere darauf will einfach nicht abreißen.
Am Freitagnachmittag teilte der Deutsche Fußball-Bund mit, dass Felicitas Rauch sich am Vormittag im Training eine Verstauchung des rechten Kniegelenks zugezogen hatte, fernab der für Medien zugänglichen Viertelstunde. Die 27-Jährige werde »auf unbestimmte Zeit« ausfallen – also nicht nur für das zweite Gruppenspiel dieser WM am Sonntag gegen Kolumbien. Damit hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg eine Dauerbaustelle fürs gesamte Turnier: Alle Positionen in ihrem Kader sind doppelt besetzt, doch genau jene der Linksverteidigerin nicht. Bei der WM-Generalprobe gegen Sambia hatte sich Carolin Simon einen Kreuzbandriss zugezogen. Die 30-Jährige hatte beim FC Bayern eine starke Saison gespielt, beim ersten Gruppenspiel gegen Marokko (6:0) hielt Kapitänin Alexandra Popp beim Teamfoto demonstrativ noch ihr Trikot hoch.
Nun fällt auch Rauch aus, die bei der Europameisterschaft in England meist solide gespielt hatte. Auch beim VfL Wolfsburg wird die 27-Jährige wegen ihrer Zuverlässigkeit geschätzt. Nun gibt es zwei Optionen: Entweder die überraschend nominierte Chantal Hagel einzusetzen, die jedoch bei der TSG Hoffenheim meist im offensiven Mittelfeld spielt. Die nach Wolfsburg wechselnde 25-Jährige jetzt auf diese neuralgische Position zu stellen, wäre ein Risiko. Die sichere Variante heißt Sophia Kleinherne, obwohl sie in dieser Saison bei Eintracht Frankfurt als Innenverteidigerin zum Einsatz kam. Immerhin hatte die 23-Jährige einst im Herbst 2019 gegen England als Linksverteidigerin im Nationaltrikot debütiert.
Offensive Impulse, wie sie Rauch immer wieder gibt, sind aber Kleinhernes Sache nicht. Klugerweise hatte sie sich vor dem WM-Start im Wyong Race Club Klagen darüber gespart, dass ihr auf der rechten Abwehrseite Svenja Huth als Ersatz für die ebenfalls verletzt fehlende Giulia Gwinn vorgezogen worden ist.
Die vielen Ausfälle in der Abwehr erschweren die anspruchsvolle Mission zum dritten Stern definitiv. Auch Abwehrchefin Marina Hegering ist bekanntlich noch nicht fit: Erneut war die 33-Jährige wegen ihrer Fersenprellung nicht voll belastbar. Damit ist von der Stammverteidigung bei der EM nur noch Kathrin Hendrich übrig. Die Viererkette ist ein einziges Provisorium.
Den Vize-Europameisterinnen steht gegen den Vize-Südamerikameister somit in doppelter Hinsicht ein Härtetest bevor. Denn in Sachen Widerstandsfähigkeit und Stressresistenz ist die Partie im Sydney Football Stadium ohnehin ein echter Gradmesser. »Sie haben eine starke Physis, eine große Mentalität und sind sehr hartnäckig«, sagte Voss-Tecklenburg bereits nach der WM-Auslosung in Auckland. Herzblut und Stolz spielen beim Fußball in Südamerika traditionell eine große Rolle, wie auch die Mannen von Hansi Flick beim 0:2 im Freundschaftsspiel gegen Kolumbien im vergangenen Monat erfuhren. Der für alle Nationalmannschaften zuständige Sportliche Leiter Joti Chatzialexiou mahnte nicht zufällig an, »das Beinchen« nicht zurückzuziehen.
Führungsspielerin Sara Däbritz versicherte, dass derlei Lerninhalte angekommen sind. »Wir treffen auf eine physisch starke Mannschaft, da müssen wir den Ball schnell laufen lassen und gegenhalten«, sagte die 28-Jährige. Vor allem die mögliche Rückkehr von Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf wäre elementar, weil die 21-Jährige die mit Abstand einsatzfreudigste Zweikämpferin ist. Die laut Däbritz »unglaublich starke Abräumerin« soll dabei helfen, dass das 18-jährige kolumbianische Wunderkind Linda Caicedo diesmal keinen Spaß am Stürmen hat.
Die 98-fache Nationalspielerin Däbritz hat übrigens vor der EM 2013 erlebt, wie etliche Ausfälle vor einem Turnier neuen Spielerinnen noch unter der Regie von Silvia Neid die Möglichkeit gaben, sich zu entfalten. Die gebürtige Ambergerin war damals eine von denen, deren Stern in Schweden aufging. »Von der Qualität haben wir einen überragenden Kader. Der Teamgedanke ist wunderbar, wir sind ein verschworener Haufen«, betonte Deutschlands Nummer 13 am Freitag. Nur wusste sie da noch nicht, welche Hiobsbotschaft bald eintreffen würde.
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