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DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik: Verdrängte Väter und Mütter
Kinder von DDR-Vertragsarbeitern aus Mosambik suchen bis heute ihre Väter – und umgekehrt
Ich kann das bis heute eigentlich gar nicht in Worte fassen, weil das für mich ein sehr emotionaler Moment war, den ich mir schon immer gewünscht habe: dass ich einmal weiß, wie mein Vater aussieht, wie er riecht, wie er spricht, wie er lacht. Und das hatte ich dann.» So beschreibt Fatima Woznica das Wiedersehen mit ihrem Vater Inacio, den sie 2019, nach 19-jähriger Suche, gefunden hat. Fatima lebt heute in Halle und ist aktiv bei der Initiative Reencontro Familiar. Hier setzt sie sich für die Zusammenführung der Familien ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter*innen ein, vor allem aus Mosambik, aber auch aus Kuba. Vorsichtigen Schätzungen der Initiative nach gibt es um die 1000 Kinder in Deutschland, deren Väter als mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR waren. Doch warum ging in so vielen Fällen der Kontakt zwischen Vätern und Kindern erst verloren?
Bei Vaterschaft Abschiebung
Der Aufenthalt der Vertragsarbeiter*innen war zeitlich begrenzt, Familiengründungen waren nicht vorgesehen und wurden staatlich verhindert. Trotz Arbeitskräftemangels und ostentativer Völkerfreundschaft zeigte die DDR hier selten Gnade und sanktionierte bereits romantische Beziehungen. «Wir waren volljährig, die meisten von uns zumindest, und trotzdem hat man uns verboten, intime Freundschaften mit Frauen einzugehen. Das stand so im Vertrag. Und das galt auch für die Frauen in unserer Gruppe.»
Das berichtet David Macou, der von 1979 bis 1991 als Vertragsarbeiter in Hoyerswerda lebte. Er bekommt in dieser Zeit eine Tochter mit einer deutschen Frau. Es gelingt den beiden aber, seine Vaterschaft geheim zu halten – vor dem Staat, dem Betrieb und dem Ehemann der Frau. Weil sie als Sekretärin im Wohnheim der Vertragsarbeiter im selben Büro tätig ist, in dem David als Gruppenleiter der Mosambikaner*innen arbeitet, kann er dennoch Zeit mit den beiden verbringen und die Tochter während ihrer ersten Lebensjahre aufwachsen sehen.
Wie ein Damoklesschwert hängt eine mögliche Entdeckung über der heimlichen Familie: Da ist die Wut des Ehemanns, der den Liebhaber seiner Frau aufsuchen will, um «eine Rechnung zu begleichen», wie David es ausdrückt. Da sind die drohende Abschiebung, sollte Davids Vaterschaft den DDR-Behörden bekannt werden, und die fristlose Kündigung seiner Partnerin, wenn herauskäme, dass sie eine Beziehung mit ihrem mosambikanischen Bürokollegen hat. Dazwischen steht die Tochter, deren Hautfarbe unverkennbar zeigt, dass ihr Vater kein Weißer ist. Wie durch ein Wunder bleibt ihre Beziehung unentdeckt, bis über den Zusammenbruch der DDR. Doch hier findet sie ein jähes Ende: 1991 wird auch Davids Wohnheim bei den rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda tagelang belagert.
Weniger als einen Monat später, am 20. Oktober 1991, wird David mit seiner Gruppe abrupt in den Bus gesetzt und nach Frankfurt am Main gefahren. Von dort geht das Flugzeug nach Mosambik. Trotz der Gewalt und des Rassismus, der es den Mosambikaner*innen zuletzt unmöglich machte, sich auf den Straßen Hoyerswerdas frei zu bewegen, wären doch viele von ihnen gern länger in Deutschland geblieben. Aber ihre Arbeitsverträge aus DDR-Zeiten wurden als bedeutungslos angesehen. Das Gleiche galt für ihre Liebes- und Freundschaftsbeziehungen und sogar für Elternschaften. Betriebe charterten teils eigens Flugzeuge, um sich der Arbeitskräfte zu entledigen.
David versucht Kontakt zu halten mit Partnerin und Tochter, schreibt bis in die späten 1990er-Jahre Briefe. Doch der Kontakt bricht ab. Seine Freundin lässt sich zwischenzeitlich scheiden, heiratet wieder. David freut sich für sie. Doch auch der neue Ehemann ist sehr eifersüchtig. Er will nicht, dass seine Frau Kontakt mit dem Ex-Freund hält, obwohl dies auch im Sinne des Kindes wäre. Davids Tochter wächst mit nur wenig Wissen über ihren Vater auf.
Rassistische Morde nach Diskobesuchen
Rassismus habe es immer gegeben, erinnert sich David. Nach dem Mauerfall habe dieser sich aber offener gezeigt. Schon zu DDR-Zeiten kam es etwa in Diskotheken häufig zu rassistischen Sprüchen bis zur Eskalation von Gewalt. Manche kosteten diese Gewaltausbrüche das Leben: 1987 wurde der mosambikanische Schüler Carlos Conceição nach einem Diskoabend in einem Jugendzentrum in Stassfurt ermordet; am 12. August 1979 trieb ein Mob die kubanischen Vertragsarbeiter Raúl García Paret und Delfin Guerra nach einer Tanzveranstaltung in Merseburg über ein Brückengeländer in die Saale.
Auch am Arbeitsplatz war David Rassismus ausgesetzt. Die verbalen Ausfälligkeiten und Übergriffe brachte er auf den Treffen mit der SED und anderen DDR-Institutionen zur Sprache, an denen er als Gruppenleiter teilnehmen musste. «Es gab also Rassismus, aber es war verboten, das in der SED zu äußern. Da musste man über Solidarität sprechen. Große Solidarität mit den anderen Ländern und Afrika und so weiter. Wenn man da von Rassismus gesprochen hätte, wäre das ein großes Problem gewesen», erinnert er sich.
Spießrutenlauf und «Tripperburgen»
Die Geschichten mosambikanischer Frauen in der DDR sind wenig dokumentiert, ihre Stimmen im aktuellen Diskurs unterrepräsentiert. Von vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen gibt es etwa viele Geschichten, nach denen sie vor die Wahl gestellt wurden, auszureisen oder abzutreiben. Die Frauen aus Mosambik hatten nicht einmal diese Alternative. Die mosambikanische Regierung verbot Schwangerschaftsabbrüche, musste über die Schwangerschaft informiert werden und leitete dann die Ausreise in die Wege.
Nicht ganz so verschüttet, doch immer noch größtenteils ungehört sind die Geschichten der deutschen Frauen, die Beziehungen und Kinder mit Vertragsarbeitern hatten. Wurden diese öffentlich, drohte ihnen oft die Kündigung im Betrieb. Doch die Repression gegen die internationalen Beziehungen war nicht überall gleich. Für Fatima Woznica ergibt sich folgendes Bild: «Je nach Ort und Region und je nachdem, wie die Mütter in ihren Familien aufgestellt waren, war es für manche Mütter ein Spießrutenlauf, umso kleiner der Ort war.» In größeren Städten sei die Lage häufig entspannter gewesen. Doch die rassistischen und sexistischen Strukturen der DDR-Gesellschaft und ihrer Institutionen griffen oftmals auf traumatisierende Weise in die Leben dieser Frauen ein.
In ihrem Roman «Herumtreiberinnen» (2022) setzte Bettina Wilpert auch den Frauen ein literarisches Denkmal, die aufgrund ihrer vermeintlichen Promiskuität und ihrer Beziehungen zu Vertragsarbeitern in die geschlossenen Venerologischen Stationen eingewiesen wurden – die gefürchteten «Tripperburgen». Faktisch erlebten diese Frauen schweren Missbrauch unter dem Deckmantel medizinischer Behandlung, wurden ihrer Freiheit beraubt und litten unter entmenschlichenden Praktiken sowie einem drakonischen Strafregime. Sie mussten sich bei Ankunft ihre Körperbehaarung abrasieren lassen und ihre Kleidung gegen Arbeitskittel tauschen. Schlafentzug, Zwangsmedikamentierung, Schläge und sexualisierte Gewalt in Form von gynäkologischen Untersuchungen gehörten zum Alltag.
Die genaue Zahl der Frauen, die Beziehungen mit Vertragsarbeitern hatten und in dieser Form sanktioniert wurden, ist nicht bekannt. Weil einzelne von ihnen ihre Geschichten erzählten, wissen wir heute mehr darüber, wie Sexismus und Rassismus in der DDR zusammenwirkten, um in schlimmster Art und Weise an weiblichen Körpern zu sanktionieren, was in der Gesellschaft als Tabu galt.
Ehrenamtliche Zusammenführungen
Doch auch wenn sie von den Tripperburgen verschont blieben, war es eine einschneidende Erfahrung, dass ihre Partner und oft die Väter ihrer Kinder abgeschoben wurden. Die Stasi war beauftragt, Beziehungen aufzudecken und im Falle von Schwangerschaften den Vater aufzuspüren und auszuweisen. Fatima Woznicas Vater versteckte sich 1985 bei seiner Partnerin. Er wurde gefunden, sofort zum Flughafen Schönefeld in Berlin gebracht und nach Mosambik ausgeflogen. Er bemühte sich, wie viele, Kontakt zu halten, wollte zurückkehren. Doch die Chance darauf war verschwindend gering.
Diese Aussichtslosigkeit ließ viele Beziehungen zerbrechen, oft verdrängten Mütter die Erinnerung an den ehemaligen Partner. Für die Kinder, die als PoC in größtenteils weißen Familien in Ostdeutschland aufwuchsen, wäre aber die Beziehung zum Vater eine wichtige Bestärkung der eigenen Identität. Als Millenials, heute in ihren 30ern, fangen sie oft erst mit der Suche nach dem verlorenen Elternteil an, wenn sie selbst Kinder haben. Vieles, was ihre Väter betrifft, ist inzwischen in Vergessenheit geraten, verloren, verlegt, verdrängt.
Die suchenden Väter in Mosambik erinnern sich oft noch an mehr. Doch weder die mosambikanischen noch die deutschen Botschaften und Behörden sind bei der Suche behilflich. So bleibt die Recherchearbeit an Ehrenamtlichen wie Fatima hängen. Ihre Motivation: Sie möchte die Einzigartigkeit, die das Wiedersehen mit ihrem Vater für sie bedeutete, auch für andere ermöglichen. In Mosambik setzt sich der Verein Associação de Amizade Moçambique – Alemanha (AAMA) für Hilfe ein, mittels der zum Teil gut vernetzten Community der ehemaligen Vertragsarbeiter*innen. Auch deren Kinder helfen mit, recherchieren im Internet und teilen Gesuche in den sozialen Medien. Doch die materiellen Ressourcen sind beschränkt. Fatima berichtet, dass die Madgermanes, wie die Vertragsarbeiter*innen in Mosambik genannt werden, oft auf eigene Kosten in die entlegensten Orte Mosambiks fahren, obwohl viele von ihnen selbst in bitterer Armut leben. Eine Reise von Mosambik nach Deutschland oder umgekehrt, um das wiedergefundene Familienmitglied kennenzulernen, bleibt für viele ein Traum. Auch die Politik lässt sich nicht langfristig für das Thema mobilisieren. «Man fängt mit jedem neuen Politiker aufs Neue an», beobachtet Fatima.
Auch für David war das Wiedersehen mit seiner Tochter ein einzigartiger, bewegender Moment: «An dem Tag, an dem wir uns trafen, verspürte ich eine große Erleichterung. Es ist schwer zu beschreiben. Jede*r von uns beiden fühlte sich auf seine eigene Weise, als seien wir in die Welt zurückgekommen, wo uns das Menschsein gewährt wird.» Er appelliert an Kinder wie Väter, die Suche nacheinander nicht aufzugeben. Der Moment des Wiedersehens kann etwas Heilendes sein. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass ihr Fortgehen unter Zwang geschah: «Niemand verlässt sein Fleisch und Blut freiwillig.» Er fordert ein Recht, dass Väter und Kinder sich besuchen können, wenn sie sich wiedergefunden haben. Botschaften, Behörden und Ämter in Deutschland und Mosambik sollen dabei behilflich sein: «Denn ein Kind soll wissen, wo der Vater herkommt und wie sein Leben war, um das eigene Leben weiterzuführen. Sie sollen nicht damit hadern, verlassen worden zu sein.»
Kathi King arbeitet für das Freiburger iz3w (Informationszentrum 3. Welt) und promoviert an der Uni Freiburg zu afroamerikanischen Autorinnen im New Deal. Sie hat 2022 mit David Macou gesprochen und im Mai 2023 Interviews mit ihm und Fatima Woznica geführt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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