Russland-Afrika-Gipfel: Brücke zu den BRICS

Als Handelspartner und Investor ist Russland für Afrika nicht von großer Bedeutung – als Alternative zum Westen allerdings schon

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin Regierungsdelegationen der Länder Afrikas zu einem »Russland-Afrika-Wirtschafts- und Humanitärforum« nach St. Petersburg einlädt, dann geht es – wie stets bei solchen Massenveranstaltungen – um Symbolik und die Interpretation derselbigen. Und so rätselten internationale Medien nun, ob die 17 afrikanischen Staatschefs, die zur zweiten Auflage des Gipfels gekommen waren, denn nun Ausdruck von bleibendem Rückhalt oder doch von fortschreitender Isolation Russlands in Afrika seien. Schließlich waren beim ersten Gipfel 2019 in Sotschi noch 43 afrikanische Präsidenten und Regierungschefs anwesend.

Nur selten wird dabei die Frage aufgeworfen, welche Rolle die Verbindung zu Russland für die afrikanischen Staaten selbst spielt. Denn auch wenn die rein wirtschaftliche Bedeutung Russlands in den allermeisten Ländern Afrikas vergleichsweise gering bleibt, wird die politisch-strategische Rolle immer bedeutender. Das entscheidende Stichwort lautet hier: BRICS, also die Staatengruppe aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Wirtschaftsverbindungen sind sehr übersichtlich

Auf 18 Milliarden US-Dollar sei das russisch-afrikanische Handelsvolumen inzwischen angewachsen, konstatierte Putin im Vorfeld des Gipfels. Gegenüber 2019, als die russische Regierung das Ziel einer Handelsausweitung auf 40 Milliarden bis zum Jahr 2024 ausgegeben hatte, ist jedoch kaum eine Veränderung zu verzeichnen. Zudem ist die Handelsbilanz arg schief, Russland exportiert sieben- bis achtmal mehr nach Afrika als es von dort importiert. Joseph Siegle, Direktor des im Pentagon angesiedelten und vom US-Kongress finanzierten Africa Center for Strategic Studies, spricht gar von einem Schrumpfen des Handelsvolumens auf 14 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Mit dem Betrag ließen sich in Berlin kaum mehr als zwei Flughäfen bauen. Noch weniger Bedeutung haben russische Investitionen auf dem Kontinent, wo sie lediglich ein Prozent des eingesetzten Auslandskapitals ausmachen. US-Lobbyist Siegle erklärt deshalb, dass selbst aus Mauritius mehr ausländische Direktinvestitionen nach Afrika flössen als aus Russland.

Der Fokus auf die Wirtschaftskennzahlen wird also von interessierter Seite als Beleg für die minimale Bedeutung Russlands herangezogen. Allerdings wirft das die Frage auf, warum dann überhaupt afrikanische Staatschefs nach St. Petersburg reisen. Der vor allem im Westen häufig herangezogene Erklärungsansatz, dass Mitglieder vieler aktueller afrikanischer Regierungen noch gute Erinnerungen an die Unterstützung der Sowjetunion für die Unabhängigkeitskämpfe gegen westliche Kolonialmächte hätten, wird zwar von Putins zahlreich vorgebrachten Geschichtsverweisen samt antikolonialer Rhetorik untermauert, hält einer Überprüfung auf materialistische Logik aber kaum stand. Einfacher gesagt: Natürlich geht es auch in Afrika nicht um Gefühlsduselei und Revolutionsromantik, sondern ums Geschäft.

BRICS sind Russlands Schlüssel zum Kontinent

Bedeutend ist Russland dabei weniger als eigenständiger Akteur, sondern vielmehr als Mitglied des Staatenbündnisses BRICS. Entworfen als Gegenpol zur westlichen Dominanz im Welthandel, gilt das Bündnis vielen Ländern des globalen Südens inzwischen als mögliche Alternative oder mindestens Ergänzung zum Handel mit Europa und den USA. Das gilt umso mehr, da China den Handel mit Afrika in den vergangenen Jahren stark ausbauen konnte.

Welche Bedeutung die BRICS-Gruppe inzwischen hat, ließ sich jüngst an einer Posse aus Südafrika erkennen. Dort hatte der Oberste Gerichtshof – angerufen von der größten Oppositionspartei – in der vergangenen Woche der Regierung auferlegt, den russischen Präsidenten aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs festnehmen zu lassen, wenn dieser im August zum Treffen der BRICS-Regierungschefs nach Südafrika kommen würde. Staatspräsident Cyril Ramaphosa bat Putin deshalb, dem Treffen fernzubleiben und stattdessen seinen Außenminister Sergej Lawrow zu schicken – allerdings erst, nachdem er die Maßnahme von den übrigen BRICS-Staatschefs hatte absegnen lassen. Südafrikanischen Medienberichten zufolge hatten die USA den Südafrikanern vorab mit einer Streichung von Vergünstigungen beim Warenzugang zum US-Markt gedroht, sollte Putin anreisen dürfen.

Von einer Teilnahme am Forum in St. Petersburg ließ Ramaphosa sich dadurch allerdings nicht abbringen. Zudem hatte der regierende African National Congress (ANC) bereits vor der Ausladung des russischen Präsidenten darauf gedrängt, aus dem Internationalen Strafgerichtshof – dessen Gründungsmitglied Südafrika immerhin war – auszutreten, sollte sich keine Lösung im Umgang mit Besuchen amtierender Staatsoberhäupter finden.

Afrika mit gestärktem Selbstvertrauen

Wer hinter solchen Schritten lediglich eine historisch-ideologische Verbundenheit zu Russland vermutet, dürfte entweder auf dem Holzweg sein oder die wahrscheinlicheren Gründe nicht sehen wollen. Denn wesentlich realistischer ist die Annahme, dass es afrikanischen Regierungen in erster Linie um eigene Souveränität und Respekt auf internationalem Parkett geht. Die neuen Möglichkeiten für Süd-Süd-Handelspartnerschaften haben ihnen das Selbstvertrauen gegeben, sich gegen die Bevormundung durch westliche Industriestaaten, oft verknüpft mit bilateralen Handelsabkommen, die einer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung eher im Wege stehen, aufzulehnen.

Diese veränderte Ausgangslage wird auch in geopolitischen Fragen sichtbar. So hatte etwa Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor bereits im vergangenen August entschieden gegen einen vom US-Repräsentantenhaus verabschiedeten Gesetzesentwurf protestiert, der es ermöglichen soll, Drittstaaten für Beziehungen zu Ländern abzustrafen, die von den USA mit Sanktionen belegt wurden. Die Zeiten, in denen afrikanische Staaten derlei politisch-ökonomische Würgegriffe ohne größeren Widerstand über sich ergehen ließen, scheinen vorbei zu sein. Im Zuge genau dieser Emanzipation brauchen die Afrikaner Optionen für Bündnisse mit anderen Staaten, darin liegt die Bedeutung von BRICS und somit auch die Bedeutung der Verbindung zu Russland. Dass Moskau seinerseits nicht bloße Solidarität und Humanität verfolgt, dürfte dabei als bekannt vorausgesetzt werden.

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