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Hürden beim Chancenbleiberecht in Bayern
Nichtregierungsorganisationen fordern Nachbesserungen durch die Bundesregierung
Als »pragmatisch« hatte die Bundesregierung das Chancen-Aufenthaltsrecht bei der Einführung vor gut einem halben Jahr bezeichnet. Das Gesetz sollte die Praxis der Kettenduldungen abschaffen und langjährig geduldeten Menschen eine Bleibeperspektive eröffnen. In einzelnen Bundesländern zeigen sich nun bürokratische Hürden für Antragsteller*innen. »Unklarheiten und Schwachstellen im Gesetz geben Behörden einen großen Entscheidungsspielraum, der in Bayern häufig zulasten der Antragsteller*innen ausfällt«, schreiben der bayrische Flüchtlingsrat und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein in einer gemeinsamen Stellungnahme. Ein Großteil der Personen, die bereits eine Ablehnung oder die Mitteilung über eine beabsichtigte Ablehnung erhalten haben, scheitere an formellen Erfordernissen.
Da ist etwa D., der 2016 nach Deutschland kam und dessen Asylantrag im Dezember 2020 abgelehnt wurde. Er arbeitete bis Sommer 2022 mit einer Duldung als Staplerfahrer, bis ihm die Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis entzog. Im November 2022 lief seine Duldung aus, eine neue Duldung wurde nicht erteilt, da die Ausländerbehörde ohne D.s Wissen Heimreisepapiere bei den Behörden des Herkunftslands beantragt habe. Sein Antrag auf den Chancen-Aufenthalt sei von der Ausländerbehörde wegen fehlender Duldung abgelehnt worden, die sonstigen Voraussetzungen lägen vor.
Das Gesetz soll Menschen, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre geduldet im Land leben und nicht straffällig geworden sind, 18 Monate Zeit geben, um die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zu schaffen. Dazu zählen Sprachkenntnisse, Identitätsnachweise und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Nach einer Studie des Mediendienstes Integration haben in den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten mindestens 49 000 Menschen einen Antrag auf Chancen-Aufenthalt gestellt. Davon seien rund 17 000 Anträge bereits bewilligt und etwa 2100 Anträge abgelehnt worden. Tausende Anträge waren zum Zeitpunkt der Umfrage noch in Bearbeitung. In Bayern seien laut Staatsregierung von Gülseren Demirel zum Stichtag 18. April 9800 Anträge auf Chancen-Aufenthalt eingegangen, davon seien 2347 positiv beschieden und 658 abgelehnt. Eine ungeklärte Anzahl sei noch offen.
Eine fehlende durchgehende Duldung ist ein häufiger Grund für die Ablehnung eines Antrags auf Chancen-Aufenthalt. Allerdings kommt es laut den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums »nicht darauf an, dass der Ausländer eine förmliche Duldungsbescheinigung innehat. Das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen genügt«.
Der bayrische Flüchtlingsrat und der RAV werfen den bayrischen Ausländerbehörden nun vor, über Umwege dafür zu sorgen, dass die von den Betroffenen benötigten Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen. So würden plötzlich Duldungen ungültig gestempelt, aus heiterem Himmel Strafanzeigen wegen Passlosigkeit gestellt oder Ausweisungsverfahren wegen kleiner ausländerrechtlicher Vergehen eingeleitet. Personen, die bereits einen Pass abgegeben haben, erhielten keine Duldung mehr, da Ausländerbehörden keine Duldungsgründe mehr sähen. Personen, die noch keinen Pass abgegeben haben, erhielten Strafanzeigen wegen Passlosigkeit.
»Schon früher hat Bayern massiv Bleiberechtsregelungen unterwandert. Das muss ein Ende haben. Das Bundesinnenministerium muss dringend das Gesetz anpassen und eindeutige und unmissverständliche Weisungen herausgeben. Bayern sollte den Chancenaufenthalt als Chance begreifen, dem Fachkräftemangel sowie der Überlastung der Ausländerbehörden entgegenzusteuern«, fordert Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
Die beiden Organisationen fordern nun Nachbesserungen von der Bundesregierung, um Ermessensspielräume für Behörden zu vermeiden. Außerdem fordern sie, dass nicht nur Geduldete, sondern alle »vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer« das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten können. Von den bayrischen Behörden fordern sie, das Gesetz im Sinne der Antragstellenden zu nutzen und warnen vor einem bayrischen Sonderweg.
Auch Flüchtlingsräte aus anderen Bundesländern rufen derzeit Betroffene dazu auf, ihnen Rückmeldungen zum Chancen-Aufenthaltsrecht zu geben, um einen Überblick über Umgang und Entscheidungen der Behörden zu bekommen.
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