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Chemnitz: Als die extreme Rechte den Schulterschluss vollzog
Demonstration soll an den fünften Jahrestag der Ausschreitungen in Chemnitz von 2018 erinnern
»Der Abend, an dem der Rechtsstaat aufgab«. Unter dieser Überschrift berichtete die Wochenzeitung »Zeit« Ende August 2018 aus Chemnitz. Marodierende Nazis hatten in der sächsischen Stadt zunächst demonstriert und danach Hetzjagden auf Ausländer und mutmaßlich Andersdenkende veranstaltet. Die Polizei wirkte überfordert. Ein Reporter des »nd« sprach von »Pogromstimmung mit Ansage«. Die Vorfälle reihten sich in tagelange rechte Ausschreitungen ein, an die fünf Jahre später erinnert werden soll. »Kein Vergeben, kein Vergessen« ist eine Demonstration überschrieben, die am 2. September stattfinden soll. Einen Aufruf dazu haben die Stadtverbände von Linke, SPD und Grünen unterzeichnet, dazu Initiativen wie Fridays for Future, Hand in Hand und Offener Prozess. Man wolle »keinen Schlussstrich unter die Ereignisse vom Spätsommer 2018« ziehen, heißt es in einem Aufruf, »denn wir sind uns sicher: Das alles könnte wieder passieren.«
Auslöser für die Eskalation war eine tödliche Messerstecherei am Rande des Chemnitzer Stadtfestes. Dabei war ein 35-jähriger Deutsch-Kubaner ums Leben gekommen. Im späteren Prozess gegen einen Asylbewerber aus Syrien, in dem dieser zu einer fast zehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, hieß es, er und sein flüchtiger Mittäter hätten »einen Menschen getötet, ohne Mörder geworden zu sein«. Nazis griffen den Vorfall begierig auf und mobilisierten zu Aufmärschen und gewaltsamen Übergriffen. Es habe »wochenlange rassistische Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern, rechte Parolen, Hitlergrüße und zahlreiche Fälle rechter Gewalt« gegeben, heißt es im aktuellen Aufruf. Laut Generalstaatsanwaltschaft Dresden kam es allein an den zwei Tagen nach der tödlichen Messerattacke im Zuge der rechten Aufmärsche zu 38 Gewaltstraftaten. Die Opferberatung der RAA Chemnitz zählte 23 Fälle von Körperverletzung gegen Migranten. Zudem gab es einen Angriff auf ein jüdisches Restaurant. Das sächsische Landeskriminalamt kam 2019 in einem Bericht zu dem Schluss, dass die Planungen für die damaligen Aufmärsche »nicht auf die Durchführung einer friedlichen Demonstration gerichtet« waren und es schließlich zur »Umsetzung von Gewaltstraftaten gegen Ausländer« kam. Damit widerlegte die Behörde vorangegangene Behauptungen von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der in einer Regierungserklärung vehement bestritten hatte, es habe Hetzjagden in Chemnitz gegeben.
Für die extreme Rechte in der Bundesrepublik wurde der Chemnitzer Herbst 2018 zu einem Schlüsselmoment. Verantwortlich dafür ist vor allem ein »Trauermarsch« am 1. September, der von der Initiative »Pro Chemnitz« angemeldet wurde und bei dem führende AfD-Politiker wie Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban erstmals den offenen Schulterschluss mit den Köpfen der islamfeindlichen Pegida-Bewegung wie Lutz Bachmann sowie mit gewaltbereiten Hooligans und Neonazis aus freien Kameradschaften übten. Damit wurden die Radikalisierung der Partei und ihre fehlenden Berührungsängste gegenüber dem gewaltbereiten rechtsextremen Milieu offensichtlich. Unter den geschätzt 11 000 Teilnehmern des Aufzugs, den Höcke & Co mit weißen Rosen am Revers anführten, war auch der spätere Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke, der in seinem Prozess gestand, den Entschluss zur Tat nach dem Besuch des »Trauermarschs« gefasst zu haben. Auch die Chatgruppe, aus der später die rechtsterroristische Gruppierung »Revolution Chemnitz« hervorging, entstand im September 2018. Die Bundesanwaltschaft warf den Mitgliedern später vor, einen »Systemwechsel« geplant zu haben.
Die Organisatoren der Demonstration zum fünften Jahrestag wollen zum einen daran erinnern, dass es die damals entstandenen rechten Strukturen immer noch gibt. Sie seien teils sogar »besser aufgestellt«. Die AfD befindet sich im Umfragehoch und hat erste kommunale Verwaltungsposten erobert. Aus der Bewegung »Pro Chemnitz« wurden die rechtsextremen »Freien Sachsen«, die maßgeblich die Corona-Proteste im Freistaat orchestrierten und heute zu den zentralen Akteuren der sächsischen Szene gehören. Das Bündnis merkt zudem an, dass »ein Großteil der Gesellschaft in Chemnitz auch heute keine klare Haltung« gegenüber der extremen Rechten zeige.
Zugleich sollen dank der geplanten Demonstration aber »andere Bilder aus Chemnitz in den Medien« zu sehen sein. Man wolle sich dem »wachsenden Selbstbewusstsein der Nazis« solidarisch entgegenstellen und darauf drängen, dass »sich in der Stadt etwas ändern muss«.
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