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78 Verletzte bei Angriffen auf Asylsuchende und deren Unterkünfte
Bundesinnenministerium veröffentlicht Halbjahreszahlen zu rechten Übergriffen und Protesten
Die Zahl politisch motivierter Angriffe auf Asylsuchende und deren Heime steigt weiter. Im ersten Halbjahr dieses Jahres zählte das Bundesinnenministerium 80 Vorfälle, bei denen Flüchtlingsunterkünfte Tatort oder Angriffsziel waren. 71 davon wurden dem Phänomenbereich »Politisch motivierte Kriminalität rechts« zugeordnet. Meist handelte es sich dabei um Straftaten wie Volksverhetzung, Bedrohung oder Beleidigung. Außerdem registrierte das Ministerium sechs Gewalttaten, darunter Brandstiftung sowie der Einsatz von Sprengstoffen, Waffen oder Körperverletzung.
Hinzu kommen 704 polizeilich festgestellte Straftaten gegen Asylsuchende außerhalb von Unterkünften. Auch diese seien in 600 Fällen von Rechten begangen worden, so das Ministerium. 76 Personen wurden den Angaben zufolge in diesem Jahr bereits verletzt, darunter neun Kinder. Hinzu kommen zwei weitere verletzte Personen aus dem ersten Quartal, über die das Ministerium erst jetzt berichtet.
Die Zahlen stammen aus Antworten der Bundesregierung auf zwei Kleine Anfragen der Abgeordneten Clara Bünger. Die Linke-Abgeordnete und fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion fragt die Taten quartalsweise ab. Daraus lässt sich der Anstieg deshalb leicht rekonstruieren. 2022 hatte die Polizei 121 Anschläge auf Heime registriert, auch dies war im Vergleich zum Vorjahr bereits eine Zunahme um 73 Prozent. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei außerdem 1248 Angriffe gegen Geflüchtete außerhalb von Unterkünften.
In den Anfragen erkundigt sich Bünger außerdem zur Zahl von Kundgebungen und Protesten vor Asylunterkünften, die von Rechtsextremen organisiert wurden. Für das gesamte Halbjahr nennt das Innenministerium hierzu 45 Veranstaltungen. Diese hätten demnach ausschließlich in Sachsen stattgefunden. Fast alle seien von den »Freien Sachsen« organisiert worden, oft unter dem Motto »Nein zum Heim«.
Allerdings könnten die tatsächlichen Zahlen rechter und rassistischer Versammlungen gegen Geflüchtete deutlich höher liegen, wie auch die Bundesregierung einräumt. »Im Rahmen der Beantwortung dieser Kleinen Anfrage können nur Angaben zu solchen Versammlungen und Organisatoren gemacht werden, die dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz unterliegen«, heißt es in der Vorbemerkung der Antwort. Von der Zählung ausgeschlossen seien deshalb »nichtextremistische Versammlungen«, an denen sich Rechtsextremisten »lediglich in geringer Zahl und ohne prägenden Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen beteiligt haben«. Vermeintliche »Bürgerproteste« wie jüngst gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in Arnsberg im Sauerland oder Upahl in Nordwestmecklenburg könnten in der Statistik deshalb ausgelassen werden.
Auch die Zahlen der von der Polizei erfassten »Straftaten im Kontext mit demonstrativen Ereignissen mit Bezug zur Unterbringung von Asylbewerbern« könnten untertrieben sein. Denn für die Beantwortung der Fragen aus dem Bünger-Büro nach Straftaten ist das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig. Von der Bundesbehörde in Wiesbaden werden aber nur Fälle gezählt, die als »Politisch motivierte Kriminalität rechts« aus den Ländern gemeldet werden. Beim BKA kommen also nur Meldungen an, die von den zuständigen Landesbehörden als »rechts motiviert« eingestuft werden.
Weitere Ungereimtheiten in den regelmäßig abgefragten Zahlen entstehen durch sogenannte »Nach- und Änderungsmeldungen«, etwa wenn Angriffe und Straftaten erst nachträglich bekannt oder durch neue Erkenntnisse als »politisch motiviert« eingestuft werden.
Statistisch gesehen erfolgten dieses Jahr jeden Tag 2,6 Straftaten gegen Geflüchtete, fasst die Fragestellerin Bünger zusammen. »Es ist alarmierend, dass Menschen, die hier Schutz suchen, so häufig Gewalt, Anfeindungen und Ausgrenzung erfahren«, sagt die Linke-Abgeordnete. Bund und Länder müssten deshalb dringend geeignete Schutzkonzepte auf den Weg bringen. »Politisch braucht es zudem eine klare Verurteilung der rechten Gewalt«, so Bünger zu »nd«.
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