Karl-Marx-Allee: Einsames Warten auf die Kür

Berlins Kandidatin für das Unesco-Weltkulturerbe wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Eine Initiative fordert mehr Aufmerksamkeit

Schönheitsschlaf zwischen Mitte und Friedrichshain: Die Karl-Marx-Allee
Schönheitsschlaf zwischen Mitte und Friedrichshain: Die Karl-Marx-Allee

Kaputte Laternen, zerstörte Infotafeln, ungenutzte Bauten: Je nachdem, wo man sich gerade befindet, kommt die Karl-Marx-Allee ziemlich trostlos daher. Dabei hat das Land große Pläne für die Vorzeigestraße der DDR, die die Berliner Ortsteile Friedrichshain und Mitte verbindet. Zusammen mit dem Hansaviertel bewirbt sich die ehemalige Stalinallee um die deutsche Kandidatur für das Unesco-Weltkulturerbe.

»Im Prinzip kann ich mir gut vorstellen, dass das funktioniert«, sagt Achim Bahr zu »nd«. Er ist Vorsitzender des Vereins Stalinbauten, in dem sich Ehrenamtliche für das kulturelle Erbe der Straße engagieren. »Es gab noch nie einen Vorschlag, bei dem zwei konkurrierende Projekte, also das Hansaviertel im Westen und die Karl-Marx-Allee im Osten, zusammen eingereicht wurden.« Von einer Bewerbung für das Weltkulturerbe erhofft sich Bahr mehr Aufmerksamkeit für die in Vergessenheit geratene Allee.

Vernachlässigt sieht der Vereinsvorsitzende vor allem die Infotafeln, die entlang der Karl-Marx-Allee über deren Geschichte aufklären sollen. Ein Großteil von ihnen ist Vandalismus zum Opfer gefallen, bei vielen lässt sich der Inhalt nicht mehr entziffern. »Wir haben die Tafeln zwar digitalisiert, aber ein wirklicher Ersatz ist das nicht«, sagt der Stalinbauten-Vorsitzende. Seit Januar liege ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg vor, die Tafeln zu reparieren. Getan habe sich so gut wie nichts.

Dabei wäre der Aufwand laut Bahr kein besonders großer. Vor langer Zeit habe er einmal den Kiezhausmeister an einer der Tafeln beobachten können: »Der hat fünf Minuten gebraucht fürs Putzen, fünf Minuten fürs Protokoll und fünf Minuten für die Zigarette danach.« Natürlich gebe es Wichtigeres in Berlin zu erledigen. Dass ein BVV-Beschluss jedoch ohne jede Wirkung bleibt, könne er nicht nachvollziehen.

Ein weiteres Reizthema für Bahr ist das ehemalige Kino Kosmos: »Die verglasten Treppenabgänge zu den Tiefgaragen sind seit Ewigkeiten geschlossen und sollten endlich abgerissen werden.« Schlimmer seien nur die meterhohen Vorrichtungen für Kinoplakate, deren meist nacktes Metallgestänge ein unschönes Bild abgebe. Der letzte Film im Kosmos lief 2005. »Wo der Betrieb nicht ist, braucht man auch keine riesigen Plakatvorrichtungen mehr«, urteilt Bahr. Seit einer Anfrage an die BVV im Mai ist klar: Sowohl die Eingänge zur Tiefgarage als auch die Plakatvorrichtungen gehören dem Land Berlin.

Um dessen Interesse am Thema macht sich Bahr Sorgen, seitdem er den aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag überflogen hat. »Weder die Karl-Marx-Allee noch das Thema Weltkulturerbe werden da überhaupt erwähnt. Das fanden wir schon bemerkenswert«, sagt er. Dementsprechend unsicher ist sich der Stalinbauten-Vorsitzende, was von der neuen Koalition erwartet werden kann.

Auf Anfrage von »nd« antwortet die Senatsbauverwaltung für Stadtentwicklung, die seit Kurzem anstelle des Kultursenats verantwortlich zeichnet. »Das Thema Denkmalschutz ist auch erst nach den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag in die Zuständigkeit unserer Verwaltung übergegangen«, lässt sie wissen. Aktuell könne kein politischer Entscheidungsbedarf zu Welterbeanträgen festgestellt werden.

Derzeit wartet alles auf die Kulturministerkonferenz des Bundes, die entscheidet, welche der bundesweiten Kandidaten es auf die deutsche Vorschlagsliste schaffen. Das Berliner Landesdenkmalamt rechnet im kommenden Herbst mit einem Beschluss. Bis zur letztendlichen Eintragung als Welterbestätte wird es allerdings auch dann noch Jahre dauern.

Was den Zustand der Straße betrifft, verweist der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gegenüber »nd« auf eine Begutachtung der Karl-Marx-Allee (und des Hansaviertels) durch das Landesdenkmalamt Ende 2022. Bei der sei es gelungen, die Straße »in einem ordentlichen Zustand« zu präsentieren: Die Behörde habe sich zufrieden gezeigt und nach der Prüfung beim Bezirk bedankt.

Tatsächlich ist doch das ein oder andere auf der Karl-Marx-Allee in Bewegung gekommen: Am Strausberger Platz haben Sanierungsarbeiten rund um den lange beschädigten Brunnen begonnen und die Leuchtreklame einer ehemaligen Fleischerei wurde repariert und neu angebracht. Zuvor hatten sie die Inhaber*innen eines neuen Restaurants abmontiert und auf die Straße gestellt – offenbar im Unwissen über den Wert des Schriftzugs. Gerade noch rechtzeitig rettete ein Anwohner die Leuchtreklame vor einem unrühmlichen Ende.

Auch im historischen Café Sibylle ist es mittlerweile gelungen, eine neue Ausstellung auf den Weg zu bringen. Gemeinsam arbeiten der Stalinbauten-Verein und das Landesdenkmalamt an der geplanten Eröffnung im Dezember. »Es hat viereinhalb Jahre gedauert, aber das ist ja immerhin schneller, als es mit dem Flughafen gebraucht hat«, sagt Bahr. Mit den Fortschritten ist der Vereinsvorsitzende zufrieden, und doch bleibt die Devise: »Man muss immer weiterbohren.«

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