Bach in Leipzig: Irdische Begegnungen mit himmlischer Musik

Die Leipziger werden nicht müde, Jubiläen in Sachen Johann Sebastian Bach zu begehen. Dieses Jahr wird Bach300 zelebriert: Vor genau 300 Jahren trat das Musikgenie seinen Dienst in der Stadt an

  • Marlis Heinze
  • Lesedauer: 4 Min.
Volles Haus: Nicht nur der Konzertkalender des Leipziger Thomanerchors ist prall gefüllt.
Volles Haus: Nicht nur der Konzertkalender des Leipziger Thomanerchors ist prall gefüllt.

»Ach, was für ein krächzend Völkchen übernehm ich da, von den 55 Jungen können höchstens 30 singen!«, empörte sich Johann Sebastian Bach nach seiner ersten Probe mit dem Thomanerchor. Und überhaupt prägten Missstimmungen die Situation: Die Leipziger Ratsherren sahen im neuen Kantor lediglich eine Notlösung und hätten lieber Telemann in ihre Dienste genommen. Aber der sagte ab, und so mussten sie sich mit dem Thüringer begnügen. Bach wiederum klagte über zu viele Aufgaben und – angeblich – spärlichen Sold.

Das war anno 1723, da gab es Thomaskirche, Thomasschule und Thomanerchor schon fast 500 Jahre. Aber hätte es Bach nicht nach Leipzig getrieben und hätte er es nicht bis zu seinem Tode 1750 mit dem »Völkchen« und den Ratsherren ausgehalten, würde heute vielleicht keiner mehr von den Thomanern reden. Dann wäre Mendelssohn vermutlich nicht in die Stadt gekommen, und das Gewandhausorchester wäre ein anderes.

Tipps
  • Jubiläum: www.bach300.de
  • Tourist-Information Leipzig: www.leipzig.travel

Spekulation, mag sein. Fest steht: Bachs Amtsantritt vor 300 Jahren wird gefeiert! Unter anderem mit Konzerten, mit drei Sonderausstellungen im Bach-Museum und mit einem digitalen »Bach Parcours« im Alten Rathaus. Der verbindet komplette Teile der Dauerausstellung, beispielsweise das Bach-Zimmer und den Komplex »Musikstadt Leipzig«, mit einzelnen Exponaten, die ebenfalls vom Komponisten, städtischen Amtsträger, Lehrer und Orchesterleiter erzählen.

Nicht verschwiegen werden auch all die Fehden, die Bach und die Stadt miteinander austrugen. An den 19 Stationen werden auf einem wunderbaren Klangteppich von der Eidbibel des Leipziger Rates bis zur Auftrittsempore der Stadtmusiker einzigartige Objekte ausgebreitet.

Den ganzen Trubel um sein Jubiläum verfolgt Bach vom hohen Sockel aus, vom Denkmal auf dem Thomaskirchhof. Dieser Platz ist jenes Stück Leipzig, das sogar Japaner auf ihrer Europa-in-drei-Tagen-Tour in der Stadt stoppen lässt. Doch der Angebetete zieht die Brauen zusammen und schaut, das Gotteshaus im Rücken, über die Köpfe der Spazierenden hinweg. Was sieht er von seinem Sockel aus?

Blickte er über seine rechte Schulter, fände er zwischen Kirche und Pfarrhaus den Thomas-Shop. Schaute Bach fast geradeaus, entdeckte er das Bach-Museum im Hause der mit den Bachs befreundeten Kaufmannsfamilie Bose. Und ließe er seinen Blick nach links schweifen, könnte er einige gemütliche Cafés sehen. Sein eigenes Wohnhaus allerdings, das ist längst nicht mehr vorhanden. Zu seinen Füßen herrscht jederzeit Gewusel. Ein Foto mit Bach, das scheint Pflicht unter den Weitgereisten. Und noch bis zum 28. August 2023 erklingt auf dem Platz vorm Denkmal an jedem Montag um 19 Uhr ein Konzert.

Aber die wenigsten, die am Monument entlangströmen, kennen vermutlich die Legenden, die es umweben. Fest steht, dass die 2,45 Meter hohe Bronzestatue vom Leipziger Bildhauer Carl Ludwig Seffner entworfen und am 17. Mai 1908 enthüllt wurde. Dem war ein zäher Standortstreit vorausgegangen, letztlich fiel die Wahl auf den jetzigen Platz – und Leibniz, der seit 1883 dort stand, musste weiterziehen.

Doch keiner weiß genau, inwieweit der Mann auf dem Sockel Bach ähnelt. Um den Thomaskantor rund 150 Jahre nach seinem Tode relativ originalgetreu abzubilden, half zwar das von Hausmann gemalte Porträt, das einzige, das zu Bachs Lebzeiten entstand und heute sorgsam restauriert im Alten Rathaus hängt. Aber von welcher Statur war der Meister? Antwort auf diese Frage suchte Seffner bei dessen Gebeinen, die ein paar Jahre zuvor in der Johanniskirche wiederentdeckt und vermessen worden waren. Beinahe hätte der Bildhauer Bach einen Taktstock in die Hand gedrückt, aber gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass es den damals noch nicht gab. Deshalb die Rolle mit dem Notenpapier.

Inzwischen ist das 55-köpfige »krächzend Völkchen«, wie Bach es vorfand, zu einem weltberühmten Chor aus 93 Jungs und Männern geworden. Und was das Krächzen betrifft – man muss die Thomaner gehört haben. Deren Konzertkalender ist prall gefüllt. Seit Juni 2023 sind Bachs Kantaten im Rahmen eines Gottesdienstes am jeweiligen Sonntag im Kirchenjahr am Ort ihrer Erstaufführung – zumeist abwechselnd in der Thomas- und Nikolaikirche – zu hören.

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