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Aufarbeitungstheater

Die Max-Planck-Gesellschaft will die 150 Jahre alte Dondorf-Druckerei in Frankfurt am Main abreißen lassen. Das ist nicht nur ökologisch fatal, sondern auch erinnerungspolitisch – und die Goethe-Uni macht mit

  • Altaira Caldarella und Lukas Geisler
  • Lesedauer: 8 Min.
Wohlwollender Blick auf die Nazis: Max Planck in seiner Rolle als Vorsitzender der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für Naturwissenschaftliche Forschung, um 1935
Wohlwollender Blick auf die Nazis: Max Planck in seiner Rolle als Vorsitzender der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für Naturwissenschaftliche Forschung, um 1935

Am 24. Juni dieses Jahres wurde die Dondorf-Druckerei auf dem Frankfurter Campus Bockenheim besetzt. Die Aktivist*innen aus den Bereichen Klima und »Recht auf Stadt« wollten das Gebäude vor einem Abriss retten und dort ein soziokulturelles Zentrum, die »Druckerei für Alle!« entstehen lassen. Schon seit 2006 setzt sich eine Stadtteilinitiative für den Erhalt des Gebäudes ein, das dem Land Hessen gehört und von der Goethe-Universität genutzt wurde. Noch immer befinden sich dort Teile des Archivs der Universität, deren Nutzungsrecht Ende Oktober dieses Jahres ausläuft. Anschließend soll die Druckerei dem Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik (MPIEÄ) in Erbpacht übergeben werden. Die Verträge zwischen dem Land Hessen und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) sind der Öffentlichkeit nie vorgelegt worden.

Nach nur zweieinhalb Wochen beendeten die Goethe-Universität und das Land die Besetzung mit einem Polizeigroßeinsatz, obwohl sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis – vom Jüdischen Museum bis zu Fridays for Future – hinter die Forderungen der Besetzer*innen gestellt hatte. Ein Blick in die Geschichte verrät, warum das Gebäude saniert statt abgerissen werden sollte, und zwar nicht nur aus klimapolitischen Gründen.

Historische Bedeutung der Druckerei

Die jüdische Unternehmerfamilie Dondorf erbaute 1873 das Fabrikgebäude im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. 1927 verkaufte die Familie die Druckerei an die SPD, die dort ihre Tageszeitung Volksstimme drucken ließ. 1933 besetzte die SA die Druckerei und die Mitglieder der Familie Dondorf wurden verfolgt. Einige konnten noch rechtzeitig fliehen, andere wurden in Konzentrationslagern ermordet und wieder andere in den Selbstmord getrieben. Die Druckmaschine wurde von Julius Streicher, dem Gauleiter Frankens, nach Nürnberg verfrachtet, um dort die NS-Propagandazeitung Der Stürmer drucken zu lassen. Die Bombardierungen Bockenheims im Jahre 1944 überstand die Druckerei, wenn auch beschädigt. Nach dem Krieg nutzte die SPD das Gebäude wieder als sogenannte Unionsdruckerei, anschließend wurde es zur Stammdruckerei des DGB, bevor zuletzt die Kunstpädagogik der Goethe-Universität die Räume nutzte.

Schon durch diese Schlaglichter wird die historische Bedeutung des Gebäudes sichtbar. Die Dondorf’sche Druckerei zeugt einerseits von der NS-Vernichtungspolitik, die gegenüber der deutsch-jüdischen Bevölkerung frühzeitig in die Tat umgesetzt wurde, andererseits lässt sich an ihrer Geschichte auch die Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung während des NS vergegenwärtigen. Schließlich ist die Druckerei eine der letzten erhaltenen Bauten der Bockenheimer Industrieepoche, die mit dem markanten Schornstein bis heute einen kulturellen Bezugspunkt für die Anwohner*innen bildet. Nun soll das Backsteingebäude einem Abriss zum Opfer fallen.

Dabei wäre es angemessener, die Druckerei als Ort der Erinnerung zu erhalten: an jüdisches Leben in Frankfurt, an die Erfolgsgeschichte der Familie Dondorf und ihre Verfolgung, an das Scheitern der Arbeiter*innenbewegung und den Wiederaufbau von Gewerkschaften in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Der geplante Abriss steht exemplarisch für die deutsche Erinnerungskultur, die nur dann weltmeisterlich ist, wenn es einem selbst nicht wehtut – und für die MPG, die trotz »Aufarbeitung« der eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus keine Konsequenzen zieht.

NS-Geschichte der MPG

Die Geschichte der MPG als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) geht bis in die Kaiserzeit zurück und hat eine lange Geschichte der Komplizenschaft mit dem NS. Bereits vor der Machtübernahme der NSDAP im Jahr 1933 gab es an einigen KWI Forschungen, die rassistische Überlegenheitsfantasien verwissenschaftlichten. Insbesondere das KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, heute Max-PIanck-Institut für Menschheitsgeschichte, war hier nicht bloß involviert, sondern federführend. Es bestand aus den drei namensgebenden Abteilungen, die von namhaften ›Rassentheoretikern‹ geleitet wurden, unter anderem von Eugen Fischer, Otmar von Verschuer und Fritz Lenz. Sie gehörten allesamt der frühen eugenischen Bewegung an und waren zentrale Figuren der Entwicklung, Verbreitung und später auch der politischen Umsetzung von NS-Ideologien wie der »Rassenhygiene«. Unter ihrer Leitung wurden an besagtem KWI Forschungen angestellt, die sich als wissenschaftliche Wegbereiter der Nürnberger Gesetze bezeichnen lassen.

Auf der Website der MPG liest man derweil, sie habe »als Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft« die »historische Verantwortung übernommen«. Dessen ungeachtet stellt die MPG beispielsweise den österreichischen Zoologen Konrad Lorenz als netten »Gänsevater« dar, obwohl er mit Wissenschaftler*innen der KWI im besetzten Westpolen Menschen sortiert hat: in diejenigen, die »rassisch« für »eindeutschbar« erklärt wurden, und diejenigen, die deportiert und in den KZs ermordet wurden.

Aufarbeitung fürs Selbstbild

Die Aufarbeitung der Verstrickung des KWI mit dem Nationalsozialismus begann ohnehin erst spät. Die Übernahme von Eigentum, Patenten, Forscher*innen und auch Präparaten von Ermordeten – das alles geschah zügig, die Übernahme von Verantwortung vonseiten der MPG erst 1997. Zwanzig Jahre arbeitete die MPG ihre Geschichte auf, um dann bis zum heutigen Tag nur einzelne Teile dieser Aufarbeitung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Substanz hat diese Aufarbeitung der NS-Täterschaft allerdings keine, wenn aus ihr keine Anpassung der eigenen Handlungsmaximen als institutionelle Akteurin folgt. Der Publizist Max Czollek nennt diese Erinnerungskultur »Versöhnungstheater« und meint damit eine »Wiedergutwerdung ohne Wiedergutmachung«. Vor diesem Hintergrund macht der geplante Abriss der Dondorf-Druckerei exemplarisch deutlich, um was es der MPG bei der Aufarbeitung wirklich ging: eine Reparatur des eigenen Selbstbildes.

Das MPG spart zwar nicht an üppiger Symbolpolitik der NS-Aufarbeitung, weigert sich aber konsequent, einen Ort der Erinnerung an jüdisches Leben zu erhalten. Stattdessen wird entgegen dem ursprünglich angekündigten Bauvorhaben, das den Erhalt des Gebäudes vorsah, auf undemokratische Weise der Abriss vorangetrieben. In einer Sondersitzung des Ortsbeirates im April waren derartige Pläne zugunsten eines prestigeträchtigen Neubaus vorgestellt worden. Dagegen hatte sich aus dem Publikum von allen Seiten Widerstand geregt, sowohl von Anwohner*innen als auch von Expert*innen für Denkmalschutz, Stadtgeschichte, Architektur und ökologischen Städtebau. Die Forderung eines runden Tisches saßen die Vertreter*innen der MPG und des MPIEÄ stillschweigend aus.

Erinnerungskultur als Wunschkonzert

In jener Sondersitzung wurde auch angedeutet, wie die MPG dem historischen Erbe des Gebäudes Rechnung tragen will: Im geplanten Neubau soll ein Erinnerungsort errichtet werden. Dies scheint paradox, da man sich offenbar der Verantwortung bewusst ist, aber dennoch entscheidet, das Gebäude abzureißen, also aktiv Geschichte zu zerstören – um dann nachträglich an ebendiese zu erinnern, aber eben nach eigenen Vorstellungen. Ist Erinnerungskultur im postnationalsozialistischen Deutschland ein Wunschkonzert? Gerade für Institutionen wie die MPG, die sich durch öffentliche Gelder finanzieren, sollten andere Standards gelten. Wer für 45 Millionen Euro ein Denkmal jüdischer Geschichte in Frankfurt abreißen will, nur um ein neues Gebäude zu bauen, und das auch noch, ohne einen demokratischen Prozess zu ermöglichen, lässt erinnerungspolitisch tief blicken.

Eine Aufarbeitung, die aus einer institutionellen Geschichte von handfester Täter*innenschaft nicht mindestens eine Sensibilität beim Erhalt von Geschichts- und Erinnerungsorten ableitet, ist nichts weiter als ein Lippenbekenntnis, eine scheinheilige Entlastungstaktik. Dabei profitiert die MPG als Erbin der KWI noch heute von deren nationalsozialistischer Umtriebigkeit, was die instrumentelle Handhabe von Aufarbeitung und Erinnerung durch die MPG besonders gravierend macht.

Landespolitik bleibt auf Linie

Das Land Hessen und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) unter der Leitung von Angela Dorn (Die Grünen) sind für die aktuelle Situation übrigens mitverantwortlich. Nicht nur ließ die Universität auf Druck von Angela Dorn räumen, auch die Gelder für den Neubau stellt das Ministerium. Immerhin hat sich die Ministerin, anders als das MPIEÄ und MPG, auf Anfrage des nd geäußert: Seit 2011 stehe man in einem stetigen Austausch mit dem MPIEÄ und der MPG, habe gemeinsam »etliche Standorte erörtert«. Alle Vorschläge des Landes Hessen seien abgelehnt worden, bis die MPG sich 2017 für die Dondorf-Druckerei entschied – mit der Prämisse, das Gebäude zu erhalten.

Doch als bekannt wurde, dass die MPG die Dondorf-Druckerei abreißen will, um ein komplett neues Gebäude zu konzipieren, fand kein Umdenken im Ministerium statt. Dabei läge es im Kompetenzbereich von Angela Dorn, dem MPIEÄ ein geeignetes anderes Grundstück zuzuweisen. Dies würde der Ministerin auch aus Eigennutz guttun: Wenn die Grünen bei der kommenden Landtagswahl im Herbst dieses Jahres eine glaubhafte Klima- und Erinnerungspolitik vertreten wollen, wird es höchste Zeit, vom bisherigen »Law & Order«-Kurs in Bezug auf die Dondorf-Druckerei abzurücken.

In jedem Fall braucht es jetzt sofort ein Abrissmoratorium, um zu verhindern, dass die Zivilgesellschaft noch dieses Jahr vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Darüber hinaus muss eine Zwischennutzung ermöglicht werden, damit das Gebäude nicht weiter durch Leerstand verfällt. Aus ökologischer und erinnerungspolitischer Sicht sollte es Ziel sein, das Gebäude als sozio-kulturelles Zentrum langfristig nutzen zu können – und so als lebbaren Ort der Erinnerung zugänglich zu machen. Es sollte zwar gar nicht die Aufgabe von Besetzer*innen sein, einen Abriss zu verhindern, aber sie haben in den zweieinhalb Wochen der »Druckerei für alle!« durch Ausstellungen, Konzerte und Vorträge eindrucksvoll gezeigt, was in diesen alten Gemäuern alles möglich ist.

Altaira Caldarella lebt in Frankfurt am Main und sitzt dort für ÖkolinX-ARL im Ortsbeirat 2. Ansonsten ist sie in feministischen Kontexten aktiv und beschäftigt sich mit kritischer Theoriebildung. Lukas Geisler wohnt ebenfalls in Frankfurt und setzt sich als Aktivist und Autor kritisch mit dem multiplen Krisengeschehen auseinander. Bei der Druckerei für Alle! ist er für Pressearbeit zuständig.

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