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Klimapolitik in Großbritannien: Mit Gas zum Wahlsieg
Die Förderung fossiler Energien in der Nordsee soll der britischen Regierung mehr Stimmen bescheren
Die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee soll intensiviert werden, kündigte der britische Premierminister Rishi Sunak am letzten Tag des Juli an, also am Ende des heißesten je gemessenen Monats und wenige Tage nachdem Uno-Generalsekretär Antonio Guterres vom Beginn der »Ära des globalen Kochens« gesprochen hatte. Sunak stellte die Vergabe von etwa 100 Förderlizenzen in Aussicht, um fossile Brennstoffe zu gewinnen. Es ist der bislang deutlichste Hinweis, dass der grüne Umbau der Wirtschaft auf der Prioritätenliste der Regierung immer weiter nach unten rutscht.
Zwar wolle er am Netto-Null-Ziel festhalten, sagte Sunak, bis 2050 soll Großbritannien klimaneutral sein. Doch könne sich das Land nicht vollständig von Öl und Gas lossagen. Es sei besser, »wenn wir für unsere Energiesicherheit nicht von ausländischen Diktatoren abhängig sind«. Zudem sei es weit energieintensiver, wenn man die fossilen Rohstoffe aus dem Ausland importiere. Die heimische Förderung sei deshalb »besser für die Umwelt«, sagte Sunak und insistierte: »Dies ist eine positive Geschichte für ganz Großbritannien.«
Aber seine Argumente verfangen kaum. Mike Childs von der Umweltkampagne Friends of the Earth verwies darauf, dass die neuen Förderlizenzen die Energiesicherheit Großbritanniens kaum stärken. Denn das aus der Nordsee gewonnene Öl und Gas gehört großen Konzernen wie Shell, Total oder BP – sie verkaufen es auf dem internationalen Markt an die höchsten Bieter. Zudem wird es viele Jahre dauern, bis überhaupt Öl und Gas gefördert werden. Die Lizenzen geben den Konzernen erst einmal nur das Recht, in einem bestimmten Gebiet unter dem Meeresboden Tests durchzuführen: Wie viel Öl und Gas liegt dort, ist es einfach zu fördern – und lohnt sich die Bohrung finanziell überhaupt? Das dauert bis zu vier Jahre. Und dann braucht es nochmal mehrere Jahre, bis die fossilen Energieträger aus der Erde geholt werden.
Dazu kommt noch etwas anderes: An den hohen Energiepreisen, die den Briten seit über einem Jahr zu schaffen machen, wird mehr Öl nichts ändern. Denn der Preis der Rohstoffe in Großbritannien bemisst sich nach dem europäischen Äquivalent. Schon rein energiepolitisch gesehen ist die Forcierung der Öl- und Gasproduktion also problematisch, ganz zu schweigen von den Auswirkungen aufs Klima. Jamie Livingstone von der Kampagne Oxfam Scotland sagte, dass die Entscheidung der Regierung »den Klimawissenschaften und dem gesunden Menschenverstand widerspricht.« Kritik kam auch von Personen, die Sunak politisch näher stehen. Chris Skidmore, ein einflussreicher Tory-Abgeordneter, sagte: »Dies ist die falsche Entscheidung zur falschen Zeit, wenn der Rest der Welt Rekord-Hitzewellen erlebt.« Auch wirtschaftlich sei es verkehrt, denn die Zukunft gehöre nicht fossilen Brennstoffen, sondern erneuerbaren Energien, so Skidmore.
Konservative Wähler bei der Stange halten
Aber Sunak ist offensichtlich entschlossen, in der Klimapolitik auf die Bremse zu drücken. Wie wenig Bedeutung er dem Thema beimisst, ist schon hinlänglich bekannt. Es ist ein Kontrast zu seinem Vorgänger Boris Johnson, der sich deutlich engagierter für eine progressive Klimapolitik eingesetzt hatte – auch wenn ihm laut Umweltkampagnen eine detaillierte Strategie fehlte. Premierminister Sunak dagegen konnte sich im vergangenen November erst nach heftiger Kritik dazu durchringen, überhaupt zum Klimagipfel COP27 nach Ägypten zu reisen.
Unterdessen geht die Reise zur Klimaneutralität sehr stockend voran: Im vergangenen Monat publizierte der unabhängige Ausschuss für Klimawandel einen vernichtenden Bericht, in dem er warnte, dass Großbritannien alle mittelfristigen Klimaziele verpassen könnte. Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen, die Installation von Wärmepumpen, die Umstellung von Benzin- auf Elektroautos, die Aufforstung: Alles müsse viel schneller gehen.
Die Entscheidungen Sunaks sind nicht einfach das Ergebnis eines mangelnden Interesses für das Thema, dahinter steckt auch eine politische Strategie. Der Premier hofft, mit einer aufgeweichten Klimapolitik konservative Wähler bei der Stange zu halten. Auch kann er so eine klare Trennmauer zwischen den Tories und Labour aufbauen; die Opposition hat versprochen, die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee sukzessive einzustellen.
Die Nachwahl im Londoner Vorort Uxbridge vorletzte Woche hat Sunak offensichtlich in der Überzeugung gestärkt, dass eine Abkehr vom stringenten Klimaschutz durchaus funktionieren könnte – zumindest in wahltaktischer Hinsicht. Dass die Tories den Sitz im Westen von London knapp halten konnten, verdankten sie vor allem dem Widerstand gegen den Ausbau der Ultra Low Emission Zone (ULEZ). In dieser Zone müssen Autos, die nicht den neusten Emissionsstandards entsprechen, eine zusätzliche Abgabe leisten.
Eine lokale Kampagne gegen ULEZ in Uxbridge kostete Labour wohl den Sieg. Sunak erblickte eine politische Gelegenheit: Umweltpolitik ist offenbar durchaus dazu geeignet, Wähler zu mobilisieren. Wenige Tage nach dem Erfolg in Uxbridge sagte der Regierungschef, dass er das Netto-Null-Ziel auf »pragmatische und verhältnismäßige Weise« umsetzen werde.
Mit der Vergabe von Förderlizenzen in der Nordsee bestätigt er, dass reduzierter Klimaschutz nunmehr Programm ist. Aber der Schuss könnte nach hinten losgehen: Experten verweisen darauf, dass eine klimaverträgliche Politik und die Förderung grüner Energien bei den Wählern auf breite Zustimmung stößt. Auch ULEZ ist in London insgesamt beliebt.
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