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Pullfaktor auf dem Mittelmeer ist widerlegt
Studie: Seenotrettung setzt keine Anreize für Migration. Am Wochenende verunglückten zahlreiche Geflüchtete
Die Zahl der versuchten Überfahrten von Geflüchteten über das Mittelmeer nach Europa ist – wie meistens im Sommer – hoch. Die Initiative Alarmphone meldete am Freitag 20 Boote in Seenot bei stürmischem Wetter, zu den meisten hätten sie in der Nacht zum Samstag den Kontakt verloren. Ein Boot mit 49 Menschen, darunter der Großteil aus Syrien, rettete die griechische Küstenwache am Freitag nach eigenen Angaben rund 200 Kilometer südwestlich der Halbinsel Peloponnes. Nach zwei Bootsunglücken vor der italienischen Insel Lampedusa werden mindestens 30 Menschen vermisst. Beide Boote waren demnach am Samstag bei stürmischem Wetter untergegangen. Der örtliche Polizeichef kritisierte, dass Schlepper die Menschen bei diesen Bedingungen zu der Überfahrt auslaufen ließen oder sie dazu zwangen.
In Griechenland wurden drei der Geretteten, die den Angaben zufolge aus Ägypten stammen, als mutmaßliche Schleuser festgenommen. In dem Land werden sehr häufig Schutzsuchende selbst als angebliche Schleuser beschuldigt und oft auch verurteilt. Im September 2022 etwa wurde der gebürtige Iraner Homayoun Sabetara wegen »Beihilfe bei der unerlaubten Einreise aus Drittstaaten in die EU« zu 18 Jahren Haft verurteilt.
Die Kriminalisierung von Flucht und Fluchthilfe ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union beim Versuch, den Kontinent gegen Schutzsuchende abzuschotten. Der Kampf gegen Seenotretter*innen wird immer wieder damit begründet, dass die Seenotrettung angeblich dazu führe, dass sich mehr Menschen auf die gefährliche Fluchtroute wagen. Eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung kommt jedoch zu dem Schluss, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Seenotrettung und den versuchten Überfahrten gibt: »Konkret zeigen unsere Ergebnisse, dass die These des ›Pull-Effekts‹ durch Seenotrettung im Mittelmeer wissenschaftlich unhaltbar ist«, sagt Studienautorin Alejandra Rodríguez Sánchez.
Die Zahl der Grenzübertritte sei vielmehr durch Veränderungen der Konfliktintensität, der Rohstoffpreise und Naturkatastrophen sowie durch Wetterbedingungen, Währungsumtausch und Luftverkehr zwischen den Ländern Nordafrikas, des Nahen Ostens und der EU gelenkt worden zu sein. Die Daten zeigen auch, dass die umstrittene Praxis der Pushbacks durch die libysche Küstenwache die Zahl der Überquerungsversuche reduziert hat. »Diese Reduktion hat einen hohen Preis: Das Abfangen und Zurückbringen von Booten nach Libyen ist mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden und auch die Menschenrechtssituation in Libyen selbst ist als untragbar dokumentiert«, heißt es in der Stellungnahme des Dezim-Instituts. Aus diesem Grund seien beim Internationalen Strafgerichtshof mittlerweile mehrere Verfahren anhängig.
Das Forschungsteam analysierte Daten aus der Zeit von 2011 bis 2020 von der EU-Grenzschutzagentur Frontex, der libyschen und tunesischen Küstenwache, der Internationalen Organisation für Migration und der Menschenrechtsorganisation United for Intercultural Action, die die Identität von Migranten ermittelt, die im Mittelmeer sterben. Aus diesen Daten entwickelten sie ein Modell, um Faktoren für den Aufbruch von Migranten zu ermitteln. Dabei verglichen sie die verschiedenen Phasen des europäische Rettungprogramms Mare Nostrum, private Rettungsaktionen sowie koordinierte Pushbacks durch die libysche Küstenwache. Das Ausmaß der Rettungsaktionen im Mittelmeer spielt der Studie zufolge dabei keine Rolle.
»Wenn die Forschung zeigt, dass es für Thesen wie die ›Sogwirkung‹ der Seenotrettung keine Datengrundlage gibt, muss das politische Konsequenzen haben«, forderte Ramona Rischke, Leiterin des Forschungsprojekts »Seenotrettung im Mittelmeer« am Dezim-Institut, in dessen Rahmen die Studie durchgeführt wurde.
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