- Politik
- Linke Debatte
Partei Die Linke: Drei Gespenster gehen um
Für eine konstruktive Erneuerung der Partei Die Linke. Eine Antwort auf Thesen zu einem Neustart der Linken von Mario Candeias
Wir teilen mit Mario Candeias das Anliegen, zu einer Erneuerung der Partei Die Linke beizutragen. Das Ziel ist gemeinsam, doch die Sicht auf einen erfolgreichen Weg unterscheidet uns von ihm. Deshalb bedarf es der solidarischen Diskussion.
Drei Gespenster
Die Partei Die Linke ist in einer Existenzkrise und drei Gespenster gehen um. Das eine Gespenst, das schon längere Zeit von sich reden macht, ist das Projekt der Gründung einer neuen politischen Gruppierung um Sahra Wagenknecht. Zumeist führt ein solcher Weg am Ende in die Sackgasse. Vor allem dann, wenn diese Gruppierung um eine einzige Person gebaut wird und kein organisatorisches Fundament aufweist. Die Geschichte der großen italienischen Linken ist eine Mahnung. Getrennt marschierend, wird man getrennt geschlagen. Deshalb kämpfen viele, Die Linke von innen zu erneuern und neue Kräfte aus der Gesellschaft zu gewinnen.
Ein anderes Gespenst ist das der »disruptiven Neugründung der Linken aus dem strategischen Zentrum der Partei heraus«. Stichwortgeber wurde jüngst Mario Candeias in seinen 15 Thesen zum »Neustart der Linken«. Ausgangspunkt ist die Behauptung: »Wir leben in keiner offenen gesellschaftlichen Situation mehr. Die Entwicklungspfade sind umkämpft, aber viele Alternativen bereits verunmöglicht und Wege verschlossen.«
Schon diese zwei Sätze sind ein Widerspruch in sich: Wenn die gesellschaftliche Situation nicht mehr offen ist, wieso gibt es dann ernsthafte unterschiedliche Entwicklungspfade, die umkämpft sind? Wenn einige Wege verschlossen sind, wieso können nicht andere geöffnet werden? Vor allem aber: Wer kann wirklich glauben, dass das Ende des Zeitalters der unilateralen Dominanz der USA und der sich zuspitzenden ökologischen Krise sowie der vielfältigen weiteren Krisen keine offene Situation darstellt? Sind die gesellschaftliche und politische Linke tatsächlich »für mindestens ein Jahrzehnt oder länger« verdammt, »eine defensive Position« einzunehmen »und kaum Gestaltungsraum« zu haben, wie es weiter in den Thesen heißt? Candeias liefert in den Thesen viele Argumente, mit denen er seine eigenen Behauptungen ad absurdum führt.
Michael Brie, Jahrgang 1954, gehörte viele Jahre der Programmkommission der Linken an. Ines Schwerdtner, Jahrgang 1989, war bis vor Kurzem Chefredakteurin des Magazins »Jacobin«; sie betreibt den Podcast »Hyperpolitik«.
Mit diesem Beitrag reagieren sie auf Thesen von Mario Candeias über einen nötigen Neustart der Linken, erschienen auf rosalux.de und gekürzt im »nd« vom 31. 7. unter dem Titel »Linke Krise und Neubeginn«.
Candeiasʼ Thesen münden in die Empfehlungen für die Partei Die Linke, sie solle den schon genannten Weg der »disruptiven Neugründung« einschlagen. Ergänzend heißt es: »Um Missverständnisse zu vermeiden: Disruptiv meint nicht ›zerstörerisch‹, sondern einen Aufbruch im Sinne eines erkennbaren und wirkungsvollen Bruchs mit dem Weiter-so …« Nun ist aber jede Erneuerung, wenn sie denn gelingt, ein solcher erkennbarer und wirkungsvoller Bruch mit dem Weiter-So. Disruptiv ist eine Erneuerung nur dann, wenn sie alle bisherigen Ansätze abwertet und entwertet und das Alte vollständig verdrängt. Das Konzept kann als das der Abspaltung des zu überwindende »Alten« aus dem Inneren der Linken heraus verstanden werden.
Für diese Alte und das zu Verdrängende steht in Candeiasʼ Thesen ein weiteres Gespenst – der sogenannten Linkskonservatismus. Erst wird dezidiert erklärt: »… auf das im engeren Sinne linkskonservative Spektrum um Sahra Wagenknecht [muss] keine Rücksicht mehr genommen werden« und dann wird diese Rücksichtslosigkeit ausgeweitet, indem die disruptive Neugründung mit »klarer inhaltlicher wie symbolischer Abgrenzung vom Linkskonservatismus« überhaupt verbunden wird. Eine Abgrenzung von einem »(transatlantisch) sozialliberalen Projekt«, das vorher in den Thesen als Gegenpol des »Linkskonservatismus« ausgemacht worden war, scheint dagegen nicht notwendig.
Zugleich bleibt eine inhaltliche Bestimmung und substanzielle Kritik des »Linkskonservatismus« aus, will man den Terminus nicht als Chiffre für Sahra Wagenknecht nehmen. Einen Ausweg bietet das Netzwerk Progressive Linke. Es definiert sehr klar den Linkskonservatismus als »reaktionäre Ideologie«, die mit den Werten der internationalen Solidarität vollständig gebrochen habe. Der Linkskonservatismus sei »dem Inhalt nach rückwärtsgewandt, ist sozialkonservativer Nationalpopulismus, der in Stellung gebracht wird gegen Geflüchtete, queere Menschen, Klimabewegte und andere ›skurrile Minderheiten‹«, womit wir wieder bei Sahra Wagenknecht sein sollen. Angemerkt sei, dass in der im Dezember 2022 verabschiedeten Erklärung dieses Netzwerks die für sich in Anspruch genommene Progressivität so weit getrieben wird, dass die Worte Klassen und Klassengesellschaft so konsequent vermieden werden, dass damit der wesentliche Anker einer Linken, die mehr sein will als Linksliberalismus, gekappt wurde.
Die Formel von der disruptiven Erneuerung erweist sich in Candeiasʼ Thesen vor allem als Formel der Ab- und Ausgrenzung gegenüber allem, was als »linkskonservativ« erklärt werden kann. Wie soll es unter der Voraussetzung der »Abgrenzung vom Linkskonservatismus« gelingen, was in den Thesen auch gefordert wird, nämlich viele aus dem »linkssozialdemokratischen sowie traditionell gewerkschaftlichen Spektrum« zu integrieren? Wie wird die Unterscheidung vom Sozialdefensiven, der Verteidigung der Errungenschaften der Kämpfe der Lohnarbeitenden gezogen werden?
Weiter heißt es: »Sie sollten offensiv angesprochen und in ein neues Projekt integriert werden, gemeinsam mit den innerparteilichen Mehrheitsfraktionen von ›Bewegungslinken‹ und ›progressiver Linken‹ sowie mit den gesellschaftlichen Gruppen, die sie jeweils repräsentieren.« Die ostdeutschen Traditionen sind nicht einmal mehr eine Erwähnung wert, obwohl die PDS eine der beiden Gründungsparteien war. Unseres Erachtens ist aber die substanzielle Integration dieses Erbes und ein im Verständnis der heutigen Gesellschaften als Klassengesellschaften gegründetes Politikverständnis mitentscheidend dafür, dass die Partei Die Linke wieder zu einem wirklich eigenen Pol im Parteiensystem wird.
Drei notwendige Entscheidungen
Zum Gespenst der Ausgründung einer neuen Partei und dem der disruptiven Neugründung gibt es eine Alternative – die konstruktive Erneuerung. Sie besteht darin, die Grundlage linker Politik unter den radikal veränderten Epochebedingungen gemeinsam neu zu bestimmen, alle Potenziale in der Partei selbst und aus dem linken gesellschaftlichen Feld enger zusammenzuführen und ein dafür notwendiges strategisches Zentrum zu bilden. Eine solche konstruktive Erneuerung der Partei Die Linke verlangt, dass Richtungsentscheidungen getroffen werden. Sie betrifft vor allem den Gebrauchswert der Partei Die Linke in der Gesellschaft, im politischen System, für ihre Mitglieder und für jene, die sich mit ihr verbunden fühlen. Es geht erstens um Inhalte, zweitens den Politikstil und drittens die Führungsfähigkeit in einer aktiven Mitgliederpartei, es geht um das Was, es geht um das Wie und es geht um das Wer.
Die erste Entscheidung, die die Partei Die Linke treffen muss, ist die nach ihrer Funktion. Was will sie sein: Will sie der soziale Flügel des herrschenden Parteienblocks von Grünen und SPD bis FDP und CDU/CSU sein, oder will sie einen eigenen parteipolitischen Pol einer Politik repräsentieren? Stimmt sie der Richtung der gegenwärtigen Politik in Fragen von Außen- und Sicherheits- sowie Europapolitik bis hin zur Art des Übergangs in eine CO2-neutrale Wirtschafts- und Lebensweise prinzipiell zu und fordert nur, diese Richtung und diesen Übergang sozial gerechter zu gestalten, oder steht sie für einen Richtungswechsel ein, der wesentliche Strukturen von Kapitalismus und imperialer Herrschaft überwindet und stellt dabei zentrale Forderungen auf, die die herrschende Politik verändern können? Folgt die Partei Die Linke der Bewertung des Ukraine-Krieges durch die USA und die Nato oder entwickelt sie eine eigene antiimperialistische Position?
Die Erfolge der PDS wie der vereinigten Linkspartei hatten auf einer solchen Doppelstrategie beruht und die Bundespolitik in Fragen von Mindestlohn, Grundsicherung und Rente verändert, ohne sich der herrschenden Politik unterzuordnen. Man könnte auch sagen: Die Partei Die Linke muss sich entscheiden, ob sie eine linke Partei im Mainstream oder eine gesellschaftlich verankerte sozialistische Partei sein will.
Die zweite Entscheidung betrifft den Typus von Politik. Es geht um das Wie: Soll Politik – und sei es die richtige – verordnet werden oder aus demokratischen Prozessen und der Selbstermächtigung der Betroffenen hervorgehen? In einer Nachtaktion hat der Bundeskanzler nach dem 24. Februar 2022 der Bundesrepublik eine Welle der Aufrüstung und eine Politik der Abschreckung verordnet und der Bundestag folgte dem mit großer Mehrheit. Jede ernsthafte Diskussion über Interessen und Ziele der Außen- und Sicherheitspolitik wurde mit Verweis auf den Ukraine-Krieg erstickt. Ähnlich versuchte der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz das Heizungsgesetz durchzudrücken. Der öffentliche Transformationsdiskurs ist in den letzten zehn Jahre zu einer Anweisung geworden, bedingungslos allen staatlichen Maßnahmen zu folgen, die versprechen, den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen auf Null zu reduzieren und ins Negative zu kehren. Die größte gemeinsame Aufgabe in der Geschichte der Menschheit wird so zur Unterwerfung unter eine Expertokratie.
Es ist kein Wunder, dass viele sich zu Objekten des Diskurses degradiert sehen und sich dagegen zur Wehr setzen. Der Schutz des Klimas wird auf diese Weise zu einer Bedrohung des sozialen Friedens und der Demokratie. Linke Politik zeichnet sich gerade auch dadurch aus, dass sie die Handlungsmacht von Menschen stärkt, sie ermächtigt, nicht aber sie bevormundet und behindert. Wer wirklich eine ökologische Transformation anstrebt, muss sie nicht nur sozial, sondern vor allem demokratisch gestalten und die Handlungsfähigkeit der Lohnarbeitenden in den Betrieben, der Bürgerinnen und Bürgern in den Kommunen, der vielen Initiativen für eine sozialökologische Wende erhöhen und die Menschen unterstützen, ausgehend von den eigenen Interessen und Einsichten Lösungen zu finden. Dies ist am Anfang mühselig und zeitaufwändig, am Ende wird dies aber eine weit schnellere Transformation ermöglichen als jeder Versuch des Oktroyierens.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.
Sozialistische Klassenpolitik bedeutet, die Fragen ausgehend von den Lohnabhängigen zu stellen, ihre Lage, ihre Sichtweisen, ihren Stolz auf die eigene Leistung, ihre Ansprüche auf Selbst- und Mitbestimmung zum Ausgangspunkt zu nehmen. Die Gewerkschaften sind dabei der wichtigste gesellschaftliche Partner. Zugleich ist linke Politik nur dann möglich, wenn sie dazu beiträgt, dass Klimabewegung, Friedensbewegung, feministische, antirassistische und antifaschistische Bewegungen sich aktiv in die sozialen Kämpfe einbringen und sie gemeinsam prägen. Eine wirklich linke Partei ist vor allem der politischen Vertretung der Lohnabhängigen im weitesten Sinne verpflichtet und hat die Aufgabe, dies mit Projekten des solidarischen Umbaus der Gesellschaft mit sozialistischem Ziel zu verbinden. Das ist radikale, transformatorisch orientierte Realpolitik im Sinne von Rosa Luxemburg.
Die dritte Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die der Herstellung eines strategischen Zentrums, das zugleich die wichtigsten vorhandenen kooperationswilligen Orientierungen in der Partei zusammenführt und in der Lage ist, die oben genannten zwei Aufgaben des Was und Wie überzeugend anzugehen. Es ist diese Aufgabe, die zuerst gelöst werden muss, um endlich überzeugend das Was und Wie linker Politik anzugehen. Es gibt Anzeichen, dass Kräfte in der Linken zunehmend bereit sind, sich dieser Aufgabe gemeinsam zu stellen, doch sie bedingt eine politische Führung, die konstruktiv integrierend agiert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.